Zwei Frauen allein in der Wildnis – 2. Teil
Als Yasmin und Elke die Cabin in der Wildnis betraten, kam im Nu die Erinnerung zurück. Da waren sie noch, die zwei Etagenbetten mit der Trennwand dazwischen. (Auf den oberen Betten hatten ihre Söhne Timo und Christopher geschlafen, jeder über seiner Mutter.) Die kleine Waschecke war noch da, mit ihren zwei einfachen Regalen, eines für die Waschschüssel, das zweite für die Seife. Und auch der gusseiserne Ofen war noch der alte. Ned hatte ihn bereits befeuert und er verbreitete die typische Wärme des brennenden Holzes in der Hütte.
Dicke Holzscheite waren auf der kleinen Veranda aufgestapelt und das Toilettenhäuschen stand in einiger Entfernung. Welch eine Freude war es, dies alles wiederzusehen!
Sie stellten ihre Taschen ab und folgten dann Neds Einladung in die Cabin der Familie, die in einiger Entfernung stand. Dort begrüßten sie erst einmal die anderen Familienmitglieder und wurden von Mar zu Kaffee und heißer Schokolade eingeladen. Sie saßen gemütlich in der warmen Blockhütte und genossen den Blick auf den Dog Yard.Dort leben die 50 Huskies der Cathers in ihren Hundehütten aus Holz, die mit Stroh ausgelegt sind.
Elke und Yasmin lieben Hunde. Vor allem Huskies mit ihren schönen tiefblauen Augen haben es den Frauen angetan. Sie finden, dass diese eine ganz besondere Ausstrahlung besitzen und einen Blick, der tausend Bände spricht. Sie konnten sich nicht satt sehen an den schönen Tieren, die in der arktischen Kälte so selbstverständlich draußen leben. Welch ein Kontrast zu den Haushunden in Deutschland!
Schon am ersten Nachmittag machten sie mit Ned eine Fahrt mit den Schlittenhunden über den See. Was sie nun erlebten, war so wundervoll, dass es kaum zu beschreiben ist. Man stelle sich die endlose Weite des Lake Laberge vor, der zugefroren mit seiner makellosen Schneedecke vor einem liegt. Die einzige menschliche Spur ist der Trail, dem die Hunde folgen. Es ist sehr still auf dem See. Nicht das kleinste Geräusch ist wahrnehmbar. Wäre da nicht das Knirrschen der Kufen im Schnee und das Atmen der Hunde, so könnte man glauben, taub geworden zu sein. Dann machen sie eine Pause und es gibt heißen Kaffee. Was will der Musher mehr?
Die drei Schlitten ziehen hintereinander her. Es sieht sehr leicht und mühelos aus, wie die Hunde so dahinlaufen. Doch dieser Eindruck trügt. Der Musher muss wissen, wie er die Hunde lenkt. Das geschieht mit Hilfe von Kommandos, mit Gewichtsverlagerung und mit dem geübten Einsatz der verschiedenen Bremsen. Beim Fahren von engen Kurven benutzt der Musher einen Fuß als Ausleger, um den Schlitten z.B. um einen Baum, der im Weg steht, herum zu lenken. All dies will gelernt und geübt werden.
Doch Yasmin und Elke machten ihre Sache gut. Als sie am Abend zurück zur Cabin kamen, lernten sie noch, wie die Hunde gefüttert werden müssen. Dann schirrten sie diese aus und brachten jeden einzelnen zurück zu seiner Hütte. Anschließend gab es ein gemeinsames Abendessen in der Cabin der Cathers. Mar hatte viel und üppig gekocht. Die Lasagne schmeckte großartig. Nach dem Essen planten die beiden Frauen zusammen mit Ned und Jennine Cathers einen Ausflug mit den Schlitten für den nächsten Tag. Sie wollten den ganzen Tag unterwegs sein. Die Route wurde festgelegt und es wurde besprochen, welche Lebensmittel eingepackt werden sollten.
In der Nacht hörten sie dann das Konzert der Hunde. Wie auf ein geheimes Kommando fing ein Husky nach dem anderen zu heulen an. Schließlich waren alle eingefallen und ein lauter wundersamer Gesang hallte über den einsamen See. Doch dann, so unverhofft wie sie angefangen hatten, hörten alle Hunde auf einmal wieder auf. Eine Stille trat ein, die jetzt noch tiefer und eindrucksvoller war als zuvor. Was mag die Hunde nur zu ihrem nächtlichen Gesang treiben? Haben sie in der Ferne das Heulen ihrer wilden Artgenossen, den Wölfen, gehört? Oder handeln sie nach einem uralten Instinkt?
Inzwischen hatten Elke und Yasmin sich in ihrer Cabin eingerichtet. Sie hatten ihre Sachen ausgepackt und auch schon Wasser geholt. Da es in der Cabin kein fließendes Wasser und auch keinen Strom gibt, mussten sie mit Eimern zu einem nahegelegenen Creek (Bach) gehen. Dort halten die Cathers immer ein Loch im Eis offen – ja, im Yukon wird es so kalt, dass selbst fließende Gewässer zufrieren – aus dem sie frisches Wasser schöpfen können. Dieses wird für alles benutzt, zum Kochen, Waschen und Putzen. Es ist das einzige Wasser, das der Familie und ihren Gästen im Winter zur Verfügung steht. Aber es ist herrlich klares und sauberes Wasser, das nach Wildnis und Abenteuer schmeckt. Auf der Haut hinterlässt es ein angenehmes Gefühl, ein Kribbeln, das vielleicht von seinem Sauerstoffreichtum kommt.
Für die Morgentoilette mussten die beiden Frauen es natürlich ein wenig anwärmen, denn obwohl es über Nacht in der geheizten Cabin gestanden hatte, war es immer noch eiskalt. Dazu muss man wissen, dass, obwohl es in der Cabin einigermaßen warm ist, alles, was in den Ecken steht oder liegt, kalt bleibt. Man sagt Blockhütten nach, dass sie gut gegen Kälte isolieren, da sie aus ganzen Stämmen gebaut sind. Aber es kommt eben doch auf den Grad der Kälte an. Also wurden ein paar Holzscheite in den Ofen geschoben und das Wasser aus dem Eimer in den großen Kessel geschüttet. Nach einer Weile war es warm genug, um sich damit zu waschen.
Dann ging es zum Frühstück hinüber zu den Cathers. Jennine war schon länger auf und hatte ein schönes Frühstück bereitet. Es gab Rühreier und Speck und selbstgebackenes Stockbrot, das herrlich duftete. Der Kaffee kochte auf dem Ofen vor sich hin und verbreitete seinen aromatischen Duft. Die Atmosphäre war gelassen und heiter.
Nach dem Frühstück wurde noch einmal kurz über die anstehende Tour und über das Wetter gesprochen und dann gab es den ersten Unterricht. Auch wenn unsere Heldinnen nicht mehr ganz unbeleckt waren, so mussten sie doch ihre Kenntnisse ein wenig auffrischen. Ned zeigte ihnen, wie man ein Geschirr für einen Schlittenhund zurechtlegt und es ihm dann überstreift. Das An-und Ausziehen der Geschirre will geübt sein.
Und so geht es: Den Hund mit einer Hand am Halsband festhalten und das Geschirr am gepolsterten Brustteil in die andere Hand nehmen. Das um 180° verdrehte Geschirr dem Hund über den Kopf ziehen. Immer noch mit der Hand am gepolsterten Brustteil das Geschirr in die endgültige Position drehen. Dann die Pfoten des Hundes einfädeln. Dafür legt man den Daumen an das Fußgelenk des Hundes und krümmt es mit der Hand. Anschließend mit dem Daumen das Geschirr nach unten ziehen und den Hundefuß mühelos einfädeln. Da man den Hund immer noch am Halsband hält, ist es sinnvoll, den Ring des Halsbandes sofort in den Karabiner der Neckline einzuklinken. Dann muss das Zuggeschirr nur noch mit seiner Schlaufe in die Tugleine eingehängt werden. Fertig! Klingt doch einfach, oder? 🙂 🙂 🙂
Elke und Yasmin lernten schnell und bald klappte alles reibungslos.
Und so starteten die beiden Freundinnen und Ned und Jennine Cathers zu einer langen Fahrt in die Wildnis. Sie hatten besprochen, über einen Bush Trail zu fahren, der sie durch hügeliges Gelände führen sollte. Es ging über zugefrorenen Bäche und durch endlose Wälder. Unterwegs entzündete Ned ein Lagerfeuer und ein Mahl der besonderen Art wurde bereitet. Dazu öffneten die vier Musher Konservendosen. Es gab Bohnen und Ravioli. Ned bereitete Äste vor, in die er Schlitze schnitt. In diese wurden die geöffneten Deckel der Konservendosen gesteckt. So konnten sie über das Feuer gehalten werden, um das Essen zu erwärmen. Wie köstlich ein so einfaches Essen in der Einsamkeit der Natur schmeckt, kann man sicher nur erahnen.
Unterwegs sahen unsere Musher auch Spuren von Grizzlies. Das waren meist ältere Kratzspuren an den Bäumen, durch die der Trail führte. Der Tag verging schnell und schon machten sich die Musher auf den Rückweg. Im Dog Yard wurden zuerst die Hunde gefüttert, ausgeschirrt und in ihre Hütten gebracht. Erst dann waren, wie es üblich ist, die Musher an der Reihe. Und wieder gab es ein köstliches Abendessen in der Cabin der Cathers. Nach dem Essen wurde lebhaft erzählt und über den Ausflug gesprochen.
Yasmin beschreibt die Fahrt mit dem Hundeschlitten wie folgt: Es ist ein Aufgehen im Rhythmus der Hunde, ein völliges Eintauchen in die Gegebenheiten der natürlichen Umwelt, ein Staunen über die Schönheit und Einzigartigkeit der nordischen Landschaft, ein Lauschen auf den Atem der Hunde und ein großes, tiefes Glück.
Doch schon bald wurden die beiden Freundinnen müde und zogen sich in ihre Cabin zurück. Sie lasen noch ein wenig im Licht ihrer Stirnlampen und schliefen dann einem weiteren aufregenden Tag entgegen.
Text: © Xenia Marita Riebe
Fotos: © Yasmin Maschouf-Hofmann, Elke Fischer
Lies hier den 1. Teil der Geschichte.
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