Zwangssterilisation im Nationalsozialismus

Wenn du die AfD wählen willst, oder eine andere rechte Partei, dann denke daran, dass ihre Ideologie auch dich und deine Familie treffen kann.

Anne war 17 Jahre alt, als Nachbarn sie diffamierten. Anne sei erbkrank, sagten sie, denn Anne hatte, weil sie als Kind an Rachitis litt, deformierte Hände. Ihre Hände wurden als körperliche Missbildung gewertet und das genügte, sie aufgrund des „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das am 1. Januar 1934 in Kraft trat, unter Zwang zu sterilisieren.
Da Anne minderjährig war, sollten ihre Eltern in die Sterilisation einwilligen. Sie selbst und auch ihre ganze Familie versuchte, sich gegen die ungerechtfertigte Sterilisation zur Wehr zu setzen. Doch die Institutionen und Ärzte wischten alle Einwände, ohne richtig hinzuhören, weg. Ihr Urteil war bereits gefällt. Ihre Eltern waren stark verunsichert und Anne glaubte, dass ihr Leben nun ruiniert sei. Schließlich habe sie sich ohnmächtig und auf den Rat ihrer Eltern hin, dem Schicksal gebeugt.
Was dann folgte, traumatisierte sie schwer.
Anne wurde mit verdecktem Gesicht im Hörsaal der I. Universitäts-Frauenklinik in München den Studenten vorgeführt und der Professor beschrieb ihre angebliche Erbkrankheit. Dann wurde das operative Verfahren mit entblößtem Unterleib vor den Studenten besprochen. Anschließend wurde die Sterilisation, ohne Absprache und ohne jegliche menschliche Zuwendung vorgenommen. Bei der Operation verletzte der Arzt ihre Blase, wodurch es postoperativ zu einem lang anhaltenden fieberhaften Verlauf kam. Noch Jahre nach der Zwangssterilisation musste Anne sich vier Folgeoperationen unterziehen, denn sie hatte wegen Verwachsungen im Unterleib starke Unterbauchschmerzen.
Eine Familie zu gründen war Anne verwehrt und da sie keine Kinder bekommen konnte, war es für sie sehr schwierig, eine glückliche Partnerschaft einzugehen.
Im Alter von 72 Jahren erklärte Anne: Ich habe in meinem Beruf alle Tätigkeiten zur Zufriedenheit ausgeführt und auch in meinem Haushalt stets alles allein gemacht. Ich hätte mit meinen Händen auch Kinder großziehen können. Die Zwangssterilisierung hat meine Lebensperspektive und mein Glück zerstört.

Aus dem Archiv für Gynäkologie 257, 1995, Seiten 753 -771
Gynäkologie im Nationalsozialismus – oder ,,Die späte Entschuldigung“
M. Stauber

Nach dem Erbgesundheitsgesetz vom 14. Juli 1933 wurden ab dem 1. Januar 1934 besondere „Erbgesundheitsgerichte“ eingerichtet, in denen jeweils ein Arzt, ein Gesundheitsbeamter und ein Berufsrichter über Anträge auf Sterilisierung zu entscheiden hatten. Es gab damals ca. 200 Erbgesundheitsgerichte und 30 Obergerichte für diese Thematik. Rothmaler weist darauf hin, dass eine, „erbbiologische Bestandsaufnahme“ durch eine Flut von Anzeigen möglich war, die von Hausärzten, Kliniken, Fürsorgebehörden, Gefängnissen oder von Privatpersonen vorgenommen wurden. Betroffene Frauen, Männer und Kinder wurden vorgeladen, und dies erfolgte nicht selten in Form einer polizeilichen Anweisung. Eine Frau aus unserer Nachbetreuungsgruppe schildert, dass sie sich gegen die Einweisung vehement gewehrt habe und deshalb mit gefesselten Händen in die I. Universitäts-Frauenklinik München gebracht wurde. Auch Schwestern der Klinik, die Zeitzeugen waren, berichteten von unvorstellbaren Zwangsmaßnahmen gegenüber sich wehrenden Patientinnen. Im Juni 1935 wurden vom Reichsinnenministerium auch Schwangerschaftsabbrüche aus „eugenischen Gründen“ im Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses verankert. In Hamburg und auch in München wurden Schwangerschaften bis zur 28. Woche abgebrochen. Rothmaler berichtet noch, dass ganze Familienverbände in die Erfassung zur Sterilisation gerieten und unfruchtbar gemacht wurden. In einer Mischung von Angst, Verzweiflung, Aufmüpfigkeit und Nichtbegreifenkönnen versuchten viele Patientinnen und deren Familien auf die Ärzte einzuwirken, die beabsichtigte Sterilisation abzuwenden. Solche Beispiele haben wir auch aus den Münchner Patientinnenakten entnommen – eine Hilfeleistung seitens der Gynäkologen im Sinne der Patientinnen konnten wir in den Akten jedoch nie finden. Anscheinend völlig systemtreu wurden die Indikationen zur Sterilisation ärztlich bestätigt – selbst wenn deutlich wurde, dass es sich lediglich um eine minimale körperliche Missbildung handelte. Die meisten der Patientinnen ergaben sich resigniert in ihr Schicksal und häufig in die Isolation. Vom Gesetz zum Schweigen verpflichtet, verbargen sie auch vor ihrer Umgebung aus dem Gefühl der Schande und Entwürdigung ihr Schicksal und konnten daher keine Solidarität oder gar kollektiven Widerstand entwickeln.

Das Ausmaß der inhumanen Medizin im Dritten Reich ist kaum fassbar, die verursachten Wunden bei den Opfern sind z.T. unheilbar, und das Leid der betroffenen Menschen später ist in körperlicher und vor allem psychischer Hinsicht immens. In der folgenden Tabelle finden sich Angaben, die von kompetenten Autoren und Historikern zusammengetragen wurden und die zu einem nicht unerheblichen Teil auch Ärzte der Frauenheilkunde betreffen. Die angegebene Zahl von ca. 300000 Zwangssterilisationen betrifft zu ca. 2 Dritteln Frauen. Die Opfer- dies geht aus den Untersuchungen der I. Universitäts-Frauenklinik hervor – belasten besonders schwer die damalige Einstellung vieler Gynäkologen. Die Ideologie des Nationalsozialismus, die Vorläufer im Sozialdarwinismus und in der Eugenik fand, setzte sich zum Ziel, ein „gesundes deutsches Volk“ zu schaffen, sogenannte „Volksschädlinge“ auszusondern und „erbkranken Nachwuchs“ zu verhindern. Sie brauchte hierzu den Arzt und speziell den Gynäkologen als Spezialisten. Und in der Tat wurden viele Gynäkologen zum Erfüllungsgehilfen dieser Idee der Rassenhygiene. Die Gunst der ersten Stunde – nämlich den inhumanen Anfängen von ärztlicher Seite entsprechend dem hippokratischen Eid zu widerstehen – wurde nur von wenigen genutzt. Die Maschinerie lief kontinuierlich in Richtung einer Medizin der Gewalt und schließlich der Euthanasie. Es sei noch daran erinnert, dass bei der Zwangssterilisation (mit und ohne Zwangsabtreibung) aufgrund des Eingriffes oder sekundärer Komplikationen mehrere tausend Todesfälle zu verzeichnen waren.

Text und Foto: Xenia Marita Riebe

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