Keith Haring – Der sensible Graffiti-Künstler
Keith Haring zählt wohl weltweit zu den bekanntesten Vertretern der Graffiti-Kunst. Sein Stil, geprägt durch stark farbige Bildgründe, auf denen sich bunte Figuren mit schwarzen Umrissen tummeln, war einzigartig in der Graffiti-Szene. Doch wie alle anderen Graffiti-Künstler arbeitete Keith Haring am liebsten im Untergrund.
Nach einem Studium der Werbegrafik an der Kunstschule in Pittsburgh, das er 1978 abbrach um nach New York zu ziehen, kam er in der Stadt am Hudson mit der Bewegung des Graffiti-Writing in Berührung. Er war fasziniert von der Möglichkeit durch Arbeiten, die er in U-Bahn Stationen anbrachte, Menschen zu erreichen, die wohl nie ein Museum oder eine Galerie betreten würden. Haring, der zu dieser Zeit an der School of Visual Arts in New York studierte, war einer der wenigen privilegierten Künstler der Graffiti-Szene. Im Gegensatz zu seinen meist afroamerikanischen Kollegen hatte er die Möglichkeit zu studieren. Und anders als diese arbeitete er nicht mit der Spraydose, sondern brachte seine bunten Botschaften in den U-Bahnstationen auf unbenutzte Werbeflächen an. Diese wurden damals, wenn sie gerade nicht kommerziell genutzt wurden, mit schwarzem Karton überklebt. Ein idealer Malgrund für Keith Haring, der diese Flächen aufspürte und innerhalb weniger Minuten mit Hilfe von bunter Kreide mit Bildern in seinem einzigartigen Stil bemalte. Seine Bildsprache besteht aus Figuren, die eine Kreuzung aus Comic-strip und Computer-Diagramm zu sein scheinen. Dabei benutzte er eine starke Symbolsprache. Als „Zeichen für das Loch im Geist der Menschen“ entwarf er am Tag der Ermordung John Lennons einen Hund, der durch den Menschen springt. Auch findet man in seinen Arbeiten das Kreuz, das für die Perversion der Religion steht. Überhaupt haben Keith Harings Figuren sehr oft ein Loch im Körper. Manchmal kriecht eine Schlange durch ein solches Loch, ein anderes Mal tritt eine Figur einer anderen mit dem Fuß durch ein solches oder es springen getüpfelte Hunde fröhlich durch einen Menschen mit erhobenen Armen. Zu der Zeit, in der Keith Haring seine ersten Graffiti-Versuche auf den Werbeflächen macht, ist die New Yorker U-Bahn schon längst ein Kunstobjekt und fest in der Hand der Graffiti-Bewegung. Nacht für Nacht schreiben ganze Armeen meist junger Schwarzer ihre Botschaften auf die U-Bahn Züge und verwandeln diese in rollende Graffiti-Ausstellungen. Keith Haring ist fasziniert von dieser Untergrundszene, bemalt selbst aber nie einen Zug. Er beschäftigt sich lieber mit Wänden, die er mit Hilfe von Farbe in große bunte Kunstwerke verwandelt. Dabei entstand dann auch schon einmal ein Monumental-Gemälde in der Größe von 4,50 mal 15 Meter, das fröhliche, laufende Figuren auf orangefarbenen Grund zeigt, über deren Köpfen grüne Figuren kopfüber zu tanzen scheinen, dies alles beobachtet von einem lachenden Gesicht mit drei Augen. Bei der Ausführung solcher Arbeiten wurde Keith Haring mehrfach verhaftet. Doch er hatte inzwischen eine solche Popularität erlangt, dass man ihn stets schnell wieder aus der Haft entließ.
Keith Haring war ein scheuer junger Mann. Um leben zu können nahm er einen Job in der kleinen Galerie von Tony Shafrazi an. Er tapezierte dort die Wände, packte Kunstwerke ein und aus und war immer zur Stelle, wenn Shafrazi ihn brauchte. Dieser schätzte die außerordentliche Disziplin des jungen Haring, der nie ein Wort über seine eigenen Arbeiten verlor. Dem Zufall ist es zu verdanken, dass Tony Shafrazi von der Kunst seines Angestellten erfuhr. Er schaute sich daraufhin im Mudd Club Bilder von Haring an und war sofort begeistert. Er forderte diesen auf, ein paar Arbeiten in die Galerie zu bringen, aber Keith Haring reagierte nicht darauf. Mit der Zeit wurde dem Galeristen klar, dass dies typisch für Keith Haring war. Tony Shafrazi: „Während die meisten Künstler stets Geld, Material, Anerkennung und moralische Unterstützung brauchen, hat Keith nie um etwas gebeten. Er hat einfach etwas gemacht.“ Doch nicht nur Shafrazi lernt den ernsthaften Jungen schätzen, auch Keith Haring empfindet Sympathie für den Galeristen. Haring: „Tony war der einzige, dem ich wirklich vertraute, der einzige, von dem ich wusste, wie ernst es ihm mit dem war, was er tat.“ So stellte er dann 1982 erstmalig in einer Einzelausstellung Arbeiten auf Leinwand in der Galerie Shafrazi aus. Vorher hatte er schon an einigen Gruppenausstellungen teilgenommen wie 1980 an der New Yorker New-Wave-Ausstellung und an der Times-Square-Ausstellung. 1982 wurde er als jüngster Künstler zur Documenta in Kassel eingeladen und bekam im selben Jahr den Auftrag in Tokio eine Diskothek auszumalen. Sein Bekanntheitsgrad stieg schnell und schon bald hatte der Galerist Shafrazi Wartelisten von Sammlern vorliegen, die ein Bild aus der Hand von Haring begehrten. Er hätte leicht 50 000,- Dollar für ein Werk erzielen können, aber der junge Künstler begnügte sich mit der Hälfte, weil er nicht wollte, dass seine Bilder zu teuer wurden.
Zu dieser Zeit lernte Keith Haring, dem Freundschaften sehr viel bedeuteten, den Pop-Art-Künstler Andy Warhol kennen. Dieser wird sein langjähriger Freund, und ist auch eine Schlüsselfigur für den jungen Kollegen. Haring: „Er ist für mich eine Schlüsselfigur, weil er die Regeln gebrochen hat.“ Doch anders als Warhol, der möglichst viele Dinge machen wollte, war Keith Haring daran gelegen, möglichst viele verschiedene Dinge zu machen. Er, der sich als „Produkt der Pop Art“ sah, entwickelte eine eigene Bildwelt, während Andy Warhol Suppendosen, Waschmittelkartons und andere Gebrauchsgegenstände zum Thema seiner Siebdrucke machte. Seine Symbole und Kürzel waren international lesbar und leicht reproduzierbar.
Yoko Ono: Andy Warhol’s work was creating something in a meaningful tradition but it was meaningless in a way and he liked the meaninglessness. And Keith was creating something that was looking like meaningless but actually it was meaningful.
Er begegnete der nüchternen technisierten Welt mit seiner poetischen Fantasie. Dabei bezog er sein Repertoire meistens aus den Medien. Er, der mit Computern, Videospielen und Mikroprozessoren aufgewachsen war, versuchte Botschaften in die bedrohte Welt zu senden. Er wandte sich gegen die Pervertierung der Religion und immer wieder auch gegen die Gefahren der Kernenergie. Nahe seiner Heimatstadt liegt Harrisburg. Dort engagierte er sich in der Anti-Nuklearbewegung. Haring: „ Der Künstler war in der Geschichte der Menschheit nie wichtiger als heute. Menschliche Imagination kann nicht von einem Computer programmiert werden. Sie ist unsere größte Überlebenshoffnung.“
Neben Andy Warhol ist Keith Haring auch mit dem japanischen Fotografen Tseng Kwong Chi befreundet, den er beim Brötchenholen kennenlernte. Dieser folgte Haring fortan durch die U-Bahn Stationen und hielt dessen Arbeit für die Nachwelt fotografisch fest. Ein weiterer Freund Harings ist Kenny Scharf, der unter anderem schillernde Spielzeuge aus langweiligen Telefonen schafft, die er mit Pelz und Glitzersteinchen beklebt. Auch mit dem Graffiti-Künstler LA II (Angel Ortiz) verbindet Keith Haring eine freundschaftliche Arbeitsgemeinschaft. Sein stetig wachsender Ruhm verändert den jungen Street-Artist nicht. Er malte seine Botschaften noch auf die Werbeflächen in der U-Bahn als seine Bilder schon längst Kultstatus erworben hatten. Und er blieb der bescheidenen Junge, der er bei seiner Ankunft in New York gewesen war. Bill Stelling, der Mitbesitzer der Fun Gallery, sagte, „Früher hat Keith ein einziges Paar Turnschuhe besessen, heute hingegen hat er vielleicht 50. Doch das ist auch alles.“
1988 wurde bei Keith Haring die Diagnose Aids gestellt. Schon vorher hatte er sich mit seiner Kunst bei verschiedenen Benefiz-Aktionen gegen Aids engagiert. 1989 beteiligte er sich an der Widespread-Kampagne für die Aids-Vorsorge und gründete die gemeinnützige Keith-Haring-Stiftung.
Keith Haring starb 1990 an seiner HIV Infektion. Der großartige, bescheidene Graffiti-Künstler wurde nur 31 Jahre alt. Trotz seines kurzen Lebens und der kurzen Zeit, die ihm für die Schaffung seines Werkes blieb, ist er unvergessen. Seine bunten, fröhlichen Figuren finden sich auch noch heute auf vielen Gebrauchsgegenständen, in Werbebotschaften und natürlich in vielen Museen weltweit.
Text und Zeichnung © Xenia Marita Riebe
Siehe auch:
Melbourne – The City of Graffiti
Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich
Banksy – Das Phantom unter den Sprayern
Schreibe einen Kommentar