Drei Schwarzbären in Whitehorse
Neulich – aber ich gebe zu, dass es doch schon ein wenig her ist – waren wir in Kanada. Genauer gesagt in den Yukon Territories in der Nähe der Stadt Whitehorse. Dort hatten wir bei Sonja ein Blockhaus gemietet, sehr idyllisch gelegen mit Blick auf den Takhini River. Sonja hat ebenfalls eine Cabin auf demselben Grundstück, in dem sie permanent lebt. Sie ist Deutsche und schon vor vielen Jahren nach Kanada ausgewandert. Während der vier Wochen, in denen wir unseren Stützpunkt bei ihr hatten, bekam sie Besuch von ehemaligen Freunden aus Bayern. Ein Ehepaar, um die fünfzig und ganz sympathisch. Die Frau hieß Silke und war hübsch und schlank. Der Mann war ein großer bulliger Bayer und hieß Wolf. Na ja, eigentlich hieß er Wolfgang, wie wir von Sonja erfuhren, aber da er ein Westernfan war, bestand er auf dem Kürzel seines Namens. Ich hatte mich schon gewundert, warum er, als er aus dem Leihwagen stieg, einen Cowboyhut und eine Lederweste mit Fransen trug.
Bereits am ersten Abend lud Sonja uns ein, mit ihr und ihren Freunden zu essen, was wir gerne annahmen aber auch schon bald bereuten, denn Wolfs Redefluss war sehr beachtlich. Er erzählte eine Wildnisgeschichte nach der nächsten und in jeder spielte er die Hauptrolle, natürlich als Held, was sonst? Wir anderen, die schließlich auch eine Menge erlebt haben und einiges zu erzählen gehabt hätten, kamen kaum zu Wort. Jeder kennt ja diese Menschen, die die gesamte Redezeit an sich ziehen und deren Geschichten oft sehr leicht zu durchschauen sind.
Trotzdem verabredeten wir, mit Sonja, Silke und Wolf eine Wanderung zum Fishlake zu machen. Sonja erwähnte kurz, dass es dort viele Moskitos gäbe, vor denen wir uns schützen sollten und natürlich Grizzlys. Beim Wort Grizzly wurde Wolf plötzlich still. Sonja bemerkte dies und erklärte, dass diese dem Menschen immer ausweichen, vorausgesetzt, er macht sich durch Singen und Sprechen bemerkbar.
Am nächsten Vormittag stiegen wir alle in Wolfs schwarzen Jeep und fuhren die wenigen Meilen bis zum Einstieg in den Weg, der zum Fishlake und auf einen diesen begrenzenden Berg führt. Wir stiegen aus und wollten losgehen, als wir feststellten, dass Wolf im Auto sitzen blieb. Verwundert fragten wir ihn, was denn los sei und er erklärte, dass er allergisch auf Mückenstiche reagiere und deshalb nicht mitgehen wolle. Sonja bot ihm daraufhin ihr Antimückenspray an, was er nicht annahm, weil er es angeblich nicht vertrug. So ließen wir ihn also im Auto zurück und machten uns allein auf den Weg. Drei Frauen und ein Mann, gut gelaunt und voller Vorfreude auf die Wanderung. Silke machte schon recht bald eine abfällige Bemerkung über ihren Wolf.
„Na, da kann er zu Hause im Klub ja wieder eine tolle Story erzählen, wie er einen Weg gegangen ist, auf dem es von Grizzlys nur so wimmelte.“
Schon bald zeigte uns Sonja die erste frische Spur eines Bären.
„Hier war vor Kurzem noch ein Grizzly“, sagte sie. „Wir sollten uns jetzt etwas lauter unterhalten.“
Das taten wir und der Bär ließ sich nicht sehen.
Wir hatten einen sehr schönen Tag, machten ein Picknick auf dem Berg mit Blick auf den Fishlake und vergaßen dabei beinahe Wolf, der im Auto auf uns wartete. Nach mehr als fünf Stunden kamen wir glücklich wieder bei ihm an, mussten aber feststellen, dass er total beleidigt war. Wir wären viel zu lange weggeblieben, meinte er und er habe die ganze Zeit im Auto gehockt. Tja, das war ja nun seine eigene Schuld.
Einen Tag später las Wolf in der Zeitung einen Bericht über eine Joggerin, die von einem Schwarzbär angegriffen und getötet worden war. Solche Bärattacken kommen im Yukon hin und wieder vor, weil es Bären gibt, die den Menschen in die Zivilisation folgen und sich von Abfällen ernähren. Diese Bären werden dadurch leider in ihrem Verhalten gestört und können gelegentlich gefährlich werden. Das ist aber doch eher selten der Fall.
Wolf jedenfalls bekam es scheinbar mit der Angst zu tun und erklärte, dass er lieber nach Whitehorse in ein Hotel ziehen wolle. Als Grund dafür gab er an, dass es ihm zu beschwerlich sei, in das kleine Wäldchen hinter der Hütte zu gehen, wenn er zur Toilette wolle. Dort stand nämlich, etwas abseits der Blockhäuser, das WC-Häuschen.
Gesagt, getan. Wolf und Silke zogen noch in derselben Stunde in das Gold Rush Inn Hotel nach Whitehorse. Sonja machte sich ein wenig lustig über Wolf und wir fanden auch, dass er ein bisschen übertreibe.
Am nächsten Tag dann kam Sonja laut lachend mit der Zeitung aus ihrer Cabin.
„Seht euch das mal an!“, rief sie und kam auf uns zu. Ich nahm die Zeitung entgegen und dort stand in großen Lettern „Three Black bear roaming downtown Whitehorse”
Im Bericht hieß es dann, dass drei Schwarzbären in die Stadt gekommen waren und eine Weile durch die Straßen gestrolcht waren, ehe sie sich vor dem Eingang des Gold Rush Inn niedergelassen hatten. Dort wurden sie dann von der Polizei vertrieben und trollten sich zurück in den Wald.
Wir malten uns aus, wie Wolf zitternd in seinem Zimmer gesessen hatte und empfanden doch ein wenig Schadenfreude.
„Er soll sich doch freuen“, lachte Sonja. „Da hat er doch zu Hause wieder etwas zu erzählen. Und diesmal stimmt die Geschichte sogar und er kann als Beweis die Zeitung mitnehmen. Das erhöht seine Glaubwürdigkeit!“
Noch Tage später amüsierte sich Sonja über ihren „Freund“, insbesondere, weil sie erfahren hatte, dass Silke und Wolf am nächsten Tag überstürzt nach Deutschland zurückgeflogen waren.
Text und Fotos: © Xenia Marita Riebe
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