Global Citizen ART Project
Ein Werk zu den Fragen und Folgen der Globalisierung von Xenia Marita Riebe
Eine lindgrüne Tageszeitung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Xenia Marita Riebe bei einer Bahnfahrt bei ihrem Gegenüber sah, gab den Anstoß zum umfangreichsten Kunstprojekt, das die Künstlerin bis lang geschaffen hat.
Sie stellte sich in Gedanken vor, aus dem Papier der Zeitung mit der ungewöhnlichen Farbe und den arabischen Schriftzeichen die Skulptur eines Mannes zu machen. Daneben gesellte sie in Gedanken die Skulptur einer Frau aus der apricotfarbenen Zeitung El Pais aus Spanien und eine weitere Figur aus der rosafarbenen Gazetto dello Sport aus Italien. Da die Zugfahrt länger dauerte und der Regen ihr die Sicht auf die Landschaft nahm, überlegte sie weiter. Sie stellte sich vor, wie interessant es sein müsste, Skulpturen in Menschenform aus den Zeitungen unterschiedlichster Länder zu gestalten, mit ihrer Vielfalt an Sprachen und Schriften. Und schon war der Gedanke geboren, aus einer Zeitung aus jedem Land der Welt eine Skulptur zu kreieren. Die Künstlerin überlegte, was sie mit einer solchen Arbeit alles ausdrücken könnte. Ihr ureigenes Thema Globalisierung und die Integration von Fremden, aber auch den durch die fortschreitende Globalisierung drohenden Verlust von Sprachen und Schriften. Den Eine Welt Gedanken genauso, wie die Migrationsproblematik. Sie dachte an politische Bündnisse, die sich durch die gezielte Aufstellung der Skulpturen darstellen ließen, ebenso wie die Dichte der Staaten auf den verschiedenen Erdteilen.
Welch große Aufgabe sich Xenia Marita Riebe gestellt hatte, merkte sie erst, als sie sich schon so weit in die Arbeit begeben hatte, das es kein Zurück mehr gab.
Zuerst versuchte sie, aus jedem Land der Welt eine Original Zeitung zu bekommen. Dazu schrieb sie als erstes die Botschaften Deutschlands weltweit an und freute sich, dass einige Botschafter spontan antworteten und bereit waren, eine Landeszeitung zu schicken. So kamen die ersten 70 von 200 Zeitungen zusammen. Doch dann geriet das Projekt ins Stocken. Es wurde immer schwieriger, die noch fehlenden Zeitungen zu bekommen. Da lernte Xenia Marita Riebe bei einer Podiumsdiskussion eine Bundestagsabgeordnete kennen, die ihre Hilfe anbot. Beatrix Philipp, so hieß die Dame, schaltete das Auswärtige Amt ein und ließ die Botschaften im Namen der Bundesregierung anschreiben. So erreichten die Künstlerin weitere 40 Zeitungen mit der diplomatischen Post der Bundesrepublik Deutschland. Vielen Briefen lagen sehr nette Schreiben der Botschafter bei, die viel Erfolg für das Kunstprojekt wünschten.
Xenia Marita Riebe begann, aus den bereits vorhandenen Zeitungen Skulpturen zu machen. Den Kern machte sie dabei aus der heimischen Tageszeitung und die äußere Haut aus der jeweiligen fremden Zeitung. So entstanden nach und nach Männer, Frauen und Kinder aus aller Welt. Tagsüber arbeitete die Künstlerin an den Figuren und nachts saß sie an ihrem PC, um E-Mails in alle Welt zu verschicken, immer mit der Bitte, ihr doch eine Tageszeitung zuzuschicken. Sie schrieb an Zeitungsredaktionen, Hotels, Universitäten, Krankenhäuser, Schulen und Vereine. Nach und nach kamen immer mehr Zeitungen im Atelier Riebe an und die Weltbevölkerung wuchs. Die Rheinische Post stieg in das Thema ein und bat ihre Leser, aus dem Urlaub oder von ihren Reisen Tageszeitungen für das Projekt mitzubringen. Auch so kamen einige Zeitungen zur Künstlerin. Der Herausgeber der einzigen Tageszeitung von Mikronesien Bill Jaynes, ließ sich besonders lange bitten. Erst als die Künstlerin ihm ein Foto von sich sendete, reagierte er, schickte eine Tageszeitung und schrieb in der nächsten Ausgabe der Kaselehlie Press sogar einen ausführlichen ganzseitigen Artikel über das Projekt. Auch in der Somaliland Times erschienen mehrere Artikel zum Global Citizen ART Projekt, allerdings musste die abgebildete Skulptur virtuell beschnitten werden, denn in einem muslimischen Land war es nicht möglich, einen Penis abzubilden. Zur Erklärung, die Global Citizen Skulpturen sind unbekleidet. Auf den Marschall Inseln war man so stolz, dabei zu sein, dass auch dort ein Artikel in der Zeitung erschien.
Beinahe unmöglich schien es, eine Zeitung aus Nordkorea zu bekommen, denn dort gab es zu dieser Zeit nur eine einzige E-Mail-Adresse, von der keine Antwort kam. Glücklicherweise brachte ein Journalist der ZEIT eine Zeitung aus Nord Korea mit und stellte sie der Künstlerin zur Verfügung.
Xenia Marita Riebe arbeitete drei Jahre daran, die 200 Originalzeitungen zu besorgen und Skulpturen zu fertigen. Als alle Figuren fertig waren, versah sie diese mit dem Kürzel der jeweiligen Top Level Domain des Landes, um sie später identifizieren zu können. Dann ließ sie Metallplatten aus Stahl in Form der Kontinente anfertigen, auf denen jede Figur an dem Platz des Landes stehen konnte, aus dem die Zeitung stammte. 2007 war es dann soweit. Das Global Citizen ART Project konnte erstmals ausgestellt werden. Dies geschah in der Kaiser Friedrich Halle in Mönchengladbach im Beisein von Michael Gorbatschow und 900 geladenen Gästen aus Politik und Wirtschaft.
Heute stehen die 200 Skulpturen in einem Kubus aus Acrylglas. So sind sie vor Witterungseinflüssen geschützt und können auch leichter ausgestellt werden. Der Kubus ist 50x50x50 cm groß.
Hintergründe
Das Global Citizen ART Project ist ein Projekt, dass sich künstlerisch mit den Folgen der Globalisierung auseinandersetzt. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Kultur der Schriften und Sprachen. Als Medium hierfür dienen 200 Plastiken mit menschlichem Aussehen aus 200 Originalzeitungen aus 200 Ländern der Welt. Dieses Globalisierungsprojekt ist das Resultat der intensiven Beschäftigung der Künstlerin Xenia Marita Riebe mit kulturellen und politischen Themen, die durch die fortschreitende Globalisierung entstanden sind. Schwerpunkte liegen hierbei auf:
Kinder – sind sie die Verlierer der Globalisierung?
Sprachen – wieviele Sprachen werden, durch die Dominanz einiger weniger Sprachen für immer verschwinden?
Schriften – wird auch die Schriftsprache vereinheitlicht und damit viele seltene Schriften für immer vergessen werden?
Kleine Staaten – haben sie eine Chance in der globalisierten Welt, oder werden sie zum Spielball der großen Weltmächte?
Moderne Medien und Internet – wäre die Globalisierung ohne den technischen Fortschritt und die modernen Kommunikationsmittel möglich?
Das Global Citizen ART Project soll den Betrachter dazu anregen, sich mit diesen und weiteren durch die Globalisierung entstandenen Fragen zu beschäftigen.
Das Buch zum Projekt gibt mit vielen Texten und farbigen Abbildungen weitere Anregungen zur Auseinandersetzung mit den Folgen der Globalisierung.
Thema meines „Global Citizen Project“ ist die Globalisierung. In meiner Arbeit setze ich mich mit den vielseitigen Aspekte dieser neuen Entwicklung auseinander. Durch die Globalisierung verändert sich unser Leben und das Leben aller Menschen dieser Erde. Schon jetzt ist klar, dass die kulturelle Vielfalt, die sich über die Jahrtausende isoliert entwickelt hat nach und nach in einer globalen Kultur aufgehen wird.
Es muss befürchtet werden, dass wirtschaftlich starke Länder den politischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Weg, den unsere Spezies nehmen wird bestimmen werden und die schwächeren Staaten sich dieser Macht beugen müssen und so zu Opfern der Globalisierung werden.
Deshalb brauchen wir Regeln, die von allen akzeptiert werden um so eine dauerhafte Entwicklung unter Respektierung der Verschiedenartigkeit der Völker zu garantieren. Sonst ist zu befürchten, dass die Globalisierung das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich noch verstärkt. Dies gilt gleichermaßen für Regionen, Staaten und
Individuen
Die moderne Technik hat das rasante Fortschreiten der Globalisierung erst ermöglicht, bietet aber gleichzeitig die einzigartige Chance der Verständigung der Individuen untereinander. Durch die Möglichkeit einfach, unabhängig und kostengünstig zu kommunizieren haben die Menschen erstmalig die Gelegenheit sich frei von Zensur, Propaganda und Religion näher kennenzulernen. So könnten sie lernen sich gegenseitig zu respektieren und zu verstehen. Fremdenhass könnte so weitgehend abgebaut werden. Denn nur was wir nicht kennen macht uns Angst. Und aus Angst entsteht leicht Ablehnung oder gar Hass.
Ernährung
800 Millionen Menschen leiden unter chronischem Hunger. Millionen andere haben nicht genügend zu essen, um ein „aktives und gesundes Leben“ führen zu können. Ein gutes Viertel der Weltbevölkerung ist von Nahrungsmittelknappheit bedroht. Deshalb muss die Globalisierung einhergehen mit einer Weltwirtschaftsordnung die auch den schwächeren Staaten die Möglichkeit gibt ihre Bevölkerung durch eigene Erträge zu ernähren. Kein Staat sollte darauf angewiesen sein die Nahrung für seine Bevölkerung auf dem Weltmarkt kaufen zu müssen.Ein Land, das genügend Getreide für sich selbst erzeugt hat nichts zu befürchten. Ein Land, das jedoch Getreide einführen muss, setzt seine Bevölkerung großen Gefahren aus. Jede Veränderung der weltweiten Getreidereserven kann die Preise in die Höhe treiben. Millionen von Menschen wird so der Zugang zum großen internationalen Nahrungsmittelmarkt versperrt.
Kinder
Kinder sind von Natur aus fröhliche unbefangene Wesen. Sie wollen die Welt in der sie leben erfahren und begreifen. Deshalb heben die Kinder meiner Weltbevölkerung ihre Arme so frei in die Luft und strecken sie ihre Hände aus nach der Zukunft. Kinder wollen fröhlich sein und spielend ins Erwachsenenalter hinüberwachsen. Kinder sollten als Persönlichkeiten respektiert und mit umfassenden Rechten ausgestattet werden, sonst drohen sie zu Verlierern der Globalisierung zu werden. Kindern sollte weltweit der Zugang zur Bildung garantiert werden. Sie sollten vor sexueller Ausbeutung geschützt werden. Kinderarbeit muss weltweit abgeschafft werden und kein Kind darf mehr gezwungen werden als Kindsoldat sein Leben in Gefahr zu bringen. Dabei darf es keine Ungleichbehandlung von Kindern ihres Geschlechts wegen geben.
Die Situation der Kinder weltweit ist heute leider eher negativ zu sehen. Trotz der Fortschritte der letzten zehn Jahre bleibt sie alarmierend. Nach Auskunft des internationalen Büros für Arbeit, arbeiten mehr als 250 Millionen Minderjährige zwischen 5 und 14 Jahren, viele von ihnen unter lebensgefährlichen Bedingungen. 1998 wurde ein internationaler Marsch der Kinder organisiert, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Die Teilnehmer haben sich in Genf, wo die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) tagte, getroffen, um die Schaffung einer neuen Konvention, die 1999 angenommen wurde, zu unterstützen. Deren Ziel ist die Abschaffung „der schlimmsten Formen von Arbeit“, darunter Sklaverei, Prostitution… Jedes Jahr fallen eine Million Kinder in die Hände von Zuhältern; ebenso viele werden verkauft. Eine weitere Form des Missbrauchs sind Kinder als Soldaten in bewaffneten Konflikten. Die Zahl der Kindersoldaten wird auf 300.000 geschätzt. In diesem Punkt enttäuscht die Konvention. Sie erlaubt die Anmusterung ab dem 15. Lebensjahr. Der UNO-Sicherheitsrat hat soeben eine Resolution angenommen, die den Einsatz von Kindern in Kriegen verurteilt. Er ruft die Regierungen auf, die Anwerber gerichtlich zu verfolgen. Doch die Auswirkungen des Krieges gehen noch weiter. Seit 1987 wurden 2 Millionen Minderjährige getötet; 8 Millionen verletzt oder verstümmelt, und 15 Millionen leiden ihr Leben lang an starken seelischen Erschütterungen. Hinzukommen weitere 20 Millionen verschleppte Kinder.
Um ein Kind vor jeglicher Ausbeutung zu schützen, muss man ihm eine Identität zusichern, seine Bürgerrechte bewahren und ihm das Recht auf Bildung geben. Die Auswirkungen der Bildung auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung wurden allmählich erkannt. Seit 1990 gehen 50 Millionen mehr Kinder in die Grundschule. 140 Millionen, darunter sind zwei Drittel Mädchen, sind immer noch nicht eingeschult. Erziehung und Gesundheit stehen oft in Zusammenhang. Diesbezüglich sieht die Statistik schlecht aus: jedes Jahr sterben 13 Millionen Kinder an Unterernährung und vermeidbaren Infektionen. 100 Millionen Kinder sind durch zunehmende Verstädterung, Arbeitslosigkeit und Auflösung der Familienstrukturen dazu verurteilt, auf der Straße zu überleben. Dort sind sie der Gewalt der Staatsmacht und einer gnadenlosen Umwelt ausgesetzt. Die Hälfte stirbt in den ersten vier Jahren.
Kulturelle Vielfalt
Meine Figuren stellen Individuen dar, die zwar genetisch weitgehend gleich und dennoch sehr verschieden sind. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen, haben unterschiedliche Schriften und Religionen. Ihre Kulturen sind vielfältig und sehr verschieden. Sie haben unterschiedliche kulturelle Werte geschaffen und ein kulturelles Erbe, dass es wert ist erhalten zu bleiben.
Immer mehr Menschen stellen jedoch fest, dass ihre Kultur zerbrechlich ist, ihre Sprache immer weniger gesprochen, ihre Geschichte vergessen wird und ihre künstlerische Avant-Garde nicht wahrgenommen wird. Dieses Problembewusstsein haben nicht nur reiche Länder entwickelt, sondern auch Schwellen- und Entwicklungsländer, deren Meinung für die zukünftigen Verhandlungen auf der Welthandelsorganisation (WTO) wichtig sein werden.
Ziel ist es, die Uniformierung der Welt zu vermeiden, indem die Vielfalt der Kulturen geschützt wird. Die kulturelle Vielfalt hat für die Zukunft der Gesellschaften in erster Linie eine politische Bedeutung.
Fotos: © Siegfried Mayska, Giulio Cosca, Xenia Marita Riebe
Text: © Xenia Marita Riebe
Siehe auch
Website – Global Citizen ART Project
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