Windturbinen – Analyse Vertical Sky Crash

Vorbemerkungen
Im November 2020 brach auf dem Windmessfeld Grevenbroich einer der drei Rotorarme einer der größten, bisher gebauten VAWT (Vertical Axis Wind Turbine) ab. Über die Unfallursache wird noch gerätselt und spekuliert. Die VAWT wurde von der schweizerischen AGILE WIND POWER AG unter der Bezeichnung VERTICAL SKY A 32 gebaut. Unabhängig vom Ergebnisbericht der beauftragten Untersuchungskommission erlaube ich mir eine vorläufige Analyse des Unfalls zu erstellen. Da mir nur allgemein zugängliche Daten aus den Presseberichten zur Verfügung stehen, bin ich auf Vermutungen angewiesen. Als jemand, der sich über einen längeren Zeitraum mit der Problematik der VAWT beschäftigt hat, glaube ich, dass bei der Auslegung der Konstruktion das prinzipielle Schwingungsverhalten dieser Konstruktionsweise nicht erkannt, bzw. nicht berücksichtigt wurde.
Aus folgendem Link kann man einiges entnehmen.
Die weltweit erste Vertikal Groß Windturbine im Windtestfeld Grevenbroich errichtet.

wind turbine

Auch aus den angegebenen Leistungsdaten und den positiven Besonderheiten kann man erkennen, dass man sich der komplizierten Zusammenhänge, die sich aus der Interaktion der Konstruktion mit dem Wind ergeben nicht bewusst war. Z.B. wird eine Leistung von 740 KW angegeben. Laut Betz ist das auch möglich, aber nur dann, wenn eine Windgeschwindigkeit von 12 m/s und eine Schnelllaufzahl von λ = 6 gegeben ist. Das bedeutet aber, dass die Umfangsgeschwindigkeit mindestens 260 Km/h sein muss. Das widerspricht jedoch der Behauptung, dass wegen der geringen Drehzahl u.a. keine störenden Geräusche zu erwarten sind. Nachvollziehbar ist jedoch die Angabe, dass durch eine intelligente Steuerung des Anstellwinkels α die befürchteten und periodischen Strömungsabrissen am Rotorblatt minimiert werden können. Aus den angegebenen technischen Daten geht hervor, dass Sensoren 400 x in der Sekunde den Anstellwinkel α überprüfen und an die CPU weitergeben, die dann den optimalen Anstellwinkel errechnet und einstellt. Wie ich aus den Presseberichten entnehmen konnte, war die Turbine zum Zeitpunkt des Crashs aber gar nicht in Betrieb. Es soll Windböen von 20m/s gegeben haben. Für diese äußeren Bedingungen soll die folgende Analyse erstellt werden.

Windturbine Fracture

Analyse
Ganz bewusst werden die beschriebenen Phänomene so beschrieben, dass sie auch von jedem interessierten Laien verstanden werden können. Für ausgewiesene Schwingungsfachleute sind also diese Beschreibungen eher banal.
Auf jeden Körper, der einer Luftströmung ausgesetzt ist, wirken äußere Kräfte. Wenn diese gekonnt ausgenutzt werden, kann man daraus Nutzen ziehen. Z.B. fliegen oder Energie gewinnen. Der Körper muss dafür aber möglichst ideal geformt sein. Im Fall der beschriebenen VAWT haben die Rotorblätter ein Auftriebsprofil, das prinzipiell in der Lage ist, Leistung aus dem Wind zu generieren. Hier soll aber nicht auf diese Aufgabe eingegangen werden, sondern es wird angenommen, dass die VAWT zum Zeitpunkt des Crashs still stand. Daraus folgt, dass die drei Rotorblätter, jede für sich aus unterschiedlichen Richtungen von der Luft angeströmt wurden. Im ungünstigsten Fall kann durch
Zufall ein Rotorblatt in eine Stellung geraten, bei der es zu einer Wirbelablösung kommen kann. Es bildet sich dann eine sogenannte Karmannsche Wirbelstraße auf der windabgewandten Seite des Profils. Diese Wirbel treten periodisch mit einer bestimmten Frequenz auf und verursachen mit der gleichen Frequenz eine Rückkopplung auf das Rotorblatt. Die Frequenz dieser Kräfte ist dabei u.a. auch von der Windstärke abhängig. Sie kann also praktisch jeden Wert annehmen. Die Größen dieser Kräfte (Amplituden) nehmen ebenfalls mit der Windstärke zu.

Harmonika

Beispiel 1;
Jedem Laien ist bekannt, dass die Zungen eine Mundharmonika durch Anblasen in Schwingung versetzt werden können. Je nach Masse, Steifigkeit und Länge der Zungen gibt es für jede Konfiguration eine ganz bestimmte sogenannte Eigenfrequenz. In diesem Beispiel sind es 8. Bei der Mundharmonika nennt man die jeweilige Frequenz die Tonhöhe. Masse und Steifigkeit der Federn sind die bestimmenden Parameter. Je größer die Masse, desto niedriger der Ton. Je steifer die Feder, desto höher der Ton. Bei den Zungen einer Mundharmonika gibt es nur eine einzige Schwingungsrichtung der Zungen (die Eigenform). Bei großen Auslenkungen (Tonstärke) dämpft die umgebende Luft selbst die Bewegungen und begrenzt damit die Auslenkungen. Dadurch wird eine Resonanzkatastrophe verhindert. Die Schwingungsenergie wird dabei dem System entnommen und als Schall abgegeben. (siehe Resonanz-Diagramm)
Beispiel 2
Anders sieht es bei der konkreten Konstruktion des VERTICAL SKY –Rotors aus. Der gleiche Effekt tritt auch an ein einem VAWT-Rotorblatt auf. Aber anders als bei der Mundharmonika kann es prinzipiell zu einer sogenannten Resonanzkatstrophe kommen. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ist das auch der VERTCAL SKY widerfahren. Vieles deutet darauf hin. Wenn man sich die Konstruktion einmal unter den Aspekten der Schwingungsphänome ansieht, so ist es augenscheinlich, dass der Anschlusspunkt des vertikalen Flügels an den horizontalen Rotorarm im Verhältnis zum Querschnitt des Flügels sehr klein ist, wie auf diesem Detailfoto zu erkennen. Was die Steifigkeit angeht, hat dieses Bauteil im Hinblick auf das Schwingungsverhalten also eine Schwachstelle. Der Flügel kann durch den Wind angeregt in vier verschiedenen Eigenformen um diesen Knoten schwingen.

Anschluss
1. Gleichphasig zur Querachse Bild anschlusspunkt
2. Gegenphasig zur Querachse
3. Torsion um die Achse des Rotorarms
4. Gegenläufig um die Achse des Rotorarms

Geringe Steifigkeit führt zu relativ geringen Eigenfrequenzen. (wie bei der Mundharmonika) Nach Werksangeben (Pressebericht) hat der komplette Flügel eine Masse von 18 Tonnen. Auch diese sehr große Masse setzt die Eigenfrequenz für alle vier Eigenformen herab. In dieser Prinzipskizze wird angenommen, dass die rote Masse sehr groß sein soll und deshalb selbst nicht mitschwingt.
Skizze
Über die gesamte Länge des Flügels wird unter ungünstigen Voraussetzungen durch Strömungsabriss eine Karmansche Wirbelstraße an der Lee-Seite erzeugt.
Diese Wirbel haben eine periodische Kraft-Rückkopplung auf das Rotorblatt mit einer definierten Frequenz, die u.a. von der Windgeschwindigkeit bestimmt wird.
wirbel
Aus dieser Anordnung ergibt sich ein sogenanntes gekoppeltes Schwingungssystem. Das bedeutet, dass die Schwingungsenergie von Fall 1 und 2, nach geraumer Zeit auch auf die Fälle 2 und 3 übertragen wird.
Schwingungssystem
Wenn also eine oder mehrere der Eigenfrequenzen f1 bis f4 in die Nähe der anregenden Frequenz fo kommt, also fi/fo nahe 1, so vergrößert sich die Amplitude um einen Faktor wie im Diagramm dargestellt. Durch Dämpfungseinrichtungen ließe sich die Amplituden zwar in Grenzen halten. Aber die Dämpfung verursacht Energieverluste und auch Verschleiß, je nach Art der Dämpfung. Man kann aber davon ausgehen, dass in der VERTICAL SKY keine Dämpfung
Diagramm
eingebaut wurde. Im Fall, dass eine der vier Eigenfrequenzen der Frequenz fo der Windanregung sehr nahe kommt, (die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zustand eintritt, ist aus dem vorangegangen Text mit 100% anzunehmen) wird die Resonanzkatastrophe unausweichlich.
Aus den Fotos der Presseberichte kann ich schließen, dass der Schwingungsfall 3. eingetreten ist. (Reine Torsion um die Achse des Rotorarms) Um sicher zu sein, sollte man die Bruchstelle auf typische Spuren untersuchen.
Indikation
Um derartige Resonanzkatastrophen in Zukunft auszuschließen zu können, muss man durch konstruktive Maßnahmen erreichen, dass alle vier unteren Eigenfrequenzen immer um den Faktor 2 größer sind, als fo. Mit der Konstruktionsweise der VERTICAL SKY scheint mir das undenkbar.
Sollen also die mit Sicherheit vorhandenen Vorteile der VAWT zum Tragen kommen, so muss die Masse der Flügel reduziert und die Steifigkeit erhöht werden. In meiner Neukonstruktion ist das berücksichtigt worden. Trotzdem geht für mich kein Weg daran vorbei, dass noch umfangreiche schwingungstechnische Untersuchengen angestellt werden müssen. Windkanalversuche sind unbedingt erforderlich, um sich vor solchen unliebsamen Überraschungen schützen zu können. Weit komplexer sind die schwingungstechnischen Phänomene im Lastbetrieb der VAWT bei unterschiedlichen Windstärken, die hier noch nicht thematisiert wurden. Andererseits reizt die Vorstellung, dass die VAWT prinzipiell das Potential hat die HAWT ökonomisch klar abhängen zu können. Zu groß sind die Vorteile, wenn es tatsächlich gelingen würde die Schwingungsproblematik zu meistern. Es gibt also noch viel zu tun.
Aachen im Februar 2021
Günther Kunz, Dipl. Ing.

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