Lesbische Frauen im Nationalsozialismus Teil II

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Ich möchte hier das Schicksal von drei lesbischen Frauen und ihren Partnerinnen skizzieren. Sie sollen beispielhaft für die vielen anderen Schicksale stehen, von denen wenig oder nichts bekannt ist.

Hilde Radusch – Ich hab’ mich nie als Frau gefühlt, aber frag’ mich nicht als was sonst.

Hilde Radusch – von den Nazis verfolgt – in einer Laube untergetaucht und beinahe verhungert.

Hilde Radusch hat einen umfangreichen Nachlass hinterlassen. 50 Archivkartons belegen die Stationen ihres facettenreichen Lebens, die jenseits der damals vorgesehenen Modelle für Menschen weiblichen Geschlechts lagen.
Hilde Radusch wurde am 6. November 1903 in Altdamm bei Stettin geboren. Sie wuchs in Weimar auf und ging 1921 im Alter von 18 Jahren allein nach Berlin. Dort absolvierte sie eine Ausbildung zur Kinderhortnerin und trat schon bald in den Kommunistischen Jugendverband Deutschland ein. Als kommunistische Kinderhortnerin fand sie keine Arbeit und wurde schließlich Telefonistin bei der Post. 1923 wurde sie dort Betriebsratsvorsitzende. In der Revolutionären Gewerkschaftsopposition übernahm sie die Reichsleitung der Abteilung Agitprop und die der Gewerkschaftszeitung „Post und Staat“. Weil Frauen nicht Mitglied des Roten Frontkämpferbundes werden durften, initiierte sie 1925 die Gründung des Roten Frauen- und Mädchenbundes und schrieb Artikel für dessen Zeitung, die „Frauenwacht“. Von 1929 bis 1932 war sie Stadtverordnete für die Berliner KPD.
Am 6. April 1933, kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, wurde sie wegen ihrer Arbeit in der KPD in „Schutzhaft“ genommen. Sie war ein halbes Jahr im Frauengefängnis Barnimstraße inhaftiert. Gemeinsam mit anderen Frauen konnte sie dort bessere Haftbedingungen durchsetzen. Im September 1933 wurde sie mit anderen politischen Häftlingen wieder entlassen und zog nach Berlin-Mitte. Wieder auf freiem Fuß beschlossen sie und ihre Freundin Maria einvernehmlich, fortan getrennte Wege zu gehen, um sich vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu schützen, denn Radusch wurde aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit fortan von der Gestapo überwacht.
Da sie als ehemaliges KPD-Mitglied nicht mehr bei der Post arbeiten konnte, ging sie als Arbeiterin zu Siemens und machte illegale Parteiarbeit im Betrieb. Hilde arbeitete später in wechselnden Arbeitsverhältnissen als Büroangestellte. Sie musste immer wieder ihren Wohnort ändern, denn so waren wechselnde Kriminaldirektoren für sie zuständig. Dadurch konnte sie die Gestapo eine Zeitlang abhängen.
Im Jahr 1939 lernte Hilde Radusch ihre Nachbarin Else Klopsch, genannt Eddy, näher kennen. Schon bald, nachdem sie sich einander ihre Homosexualität offenbart hatten, verliebten sich die beiden Frauen ineinander und wurden zu lebenslangen Gefährtinnen. Else Klopsch wollte gegen den Widerstand der SA einen Privatmittagstisch eröffnen, um sich und Ilse durch die harten Kriegsjahre zu bringen. Durch Mut und einen erfolgreichen Gerichtsprozess erstritt Else schließlich die Erlaubnis zur Eröffnung der „Lothringer Küche“. Dort unterstützte sie heimlich und mithilfe von Essensspenden Jüdinnen und Juden sowie andere Verfolgte.
Im Sommer 1943 – kriminalisiert und überwacht durch die Gestapo – bauten sich die beiden Frauen eine kleine Laube in Prieros, einem Ort im Berliner Umland, die ihnen als Wochenenddomizil diente. Die Laube war aber auch als zweiter „geheimer Wohnsitz“ für Notfälle gedacht.

Hilde Radusch in ihrem Ruderboot

Im August 1944 warnte eine mit Eddy befreundete Kriminalpolizistin sie vor ihrer bevorstehenden Verhaftung im Rahmen der sogenannten Aktion Gitter, einer Verhaftungswelle, während der die letzten sich in Freiheit befindenden FunktionärInnen von SPD, Zentrumspartei und KPD festgenommen wurden. Else und Hilde konnten ihrer Verhaftung durch die Nazis zuvorkommen, indem sie sich nachts in einem Ruderboot heimlich nach Prieros absetzen. Dort überlebten sie den letzten Kriegswinter nur knapp. Sie hatten keine Lebensmittelkarten und litten an Hunger und Kälte. Fast wären sie verhungert. In der Laube schrieb Hilde Raduschs ihr Kriegstagebuch, ein eindrucksvolles, außergewöhnliches Zeitdokument. Sie beschreibt darin den harten Alltag im Untergrund, das Hungerdelirium Elses, aber auch ihre persönliche Sicht auf die Kriegsereignisse.
Hilde Radusch zog sich in der Zeit bis zur Befreiung Berlins durch die Rote Armee in der Laube ein Rheumaleiden zu, das sie Mitte der 1950er Jahre zur Frührentnerin machte.
Die beiden Frauen überlebten die Nazi-Diktatur nur knapp und beteiligten sich trotz ihrer schlechten körperlichen Verfassung sofort nach Kriegsende am Wiederaufbau.
Hilde Radusch bekam über ihre politischen Kontakte eine Stelle im Bezirksamt Berlin-Schöneberg in der Abteilung Opfer des Faschismus, wo sie von Juni 1945 bis Februar 1946 arbeitete. Jedoch wurde sie bereits ein Jahr später entlassen, wohl weil sie zuvor aufgrund persönlicher und politischer Konflikte mit KPD-Genossen aus der Partei ausgetreten war.
1946 war sie Mitinitiatorin der Aktion „Rettet die Kinder“.1948 wurde Hilde Mitglied der SPD. In dieser Zeit führte sie mit Else einen Trödelladen. Doch beide Frauen hatten mit Erkrankungen als Folge der Hungerjahre zu kämpfen. 1960 verstarb Else „Eddy“ Klopsch, was für Hilde Radusch einen weiteren schweren Schlag darstellte.
In den 1970er Jahren motivierte die Neue Frauenbewegung Hilde Radusch wieder zu politischem Engagement, während sie die alte Frauenbewegung nur als Beobachterin wahrnahm. Im November 1974 gründete Radusch gemeinsam mit anderen Frauen wie etwa Käthe Kuse, Tamara Streck und Gertrude Sandmann die Gruppe L74, welche auch die UKZ (Unsere Kleine Zeitung) herausgab, die erste Lesben-Zeitschrift nach dem Zweiten Weltkrieg.
Hilde Radusch fungierte im Jahr 1978 auch als eines der Gründungsmitglieder des Frauenforschungs-, -bildungs- und -informationszentrums (FFBIZ), das bis heute existiert.
Hilde Radusch starb am 2. August 1994 im Alter von 91 Jahren. Bis zu ihrem Tod wurde sie von Frauen aus der Lesben- und Frauenbewegungsszene – ihrem sogenannten Clübchen – zu Hause betreut. Beerdigt wurde sie in Berlin-Schöneberg auf dem Matthäus-Friedhof.
Seit 2012 erinnern in Berlin-Schöneberg, an der Kreuzung Winterfeldtstraße/Eisenacher Straße, drei Gedenktafeln an Hilde Radusch. Dort entstand mit ihnen der erste Berliner Gedenkort für eine von den Nationalsozialisten verfolgte lesbische Frau.
Im Jahr 2016 wurde das Grab von Hilde Radusch von der Stadt Berlin zum Ehrengrab erhoben.

Quelle: Digitales Deutsches Frauenarchiv

Erläuterungen:

Lesbische Frauen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus selten ausschließlich wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt. Meistens wurden gegen sie unterschiedliche andere Gründe vorgebracht, wie z. B. Kontakt zu Juden und Jüdinnen, Sex mit Minderjährigen oder Abhängigen (wobei nicht vermerkt wurde, ob es sich um lesbische sexuelle Handlungen handelte), Mitgliedschaft in politischen Parteien (KPD, SPD) oder sie wurden als asozial im weitläufigen Sinne bezeichnet, worunter auch der häufige Wechsel von Partnerinnen zählte. Anders als bei homosexuellen Männern, die nach § 175 verfolgt wurden, nahmen die Nazis lesbische Frauen aus fadenscheinigen Gründen in „Schutzhaft“, entweder in Gefängnissen oder Konzentrationslagern. Dort gab es für lesbische Frauen keine gesonderte Kennzeichnung an der Häftlingskleidung. Sie trugen entweder den schwarzen Winkel zur Kennzeichnung „Asoziale“ oder den roten Winkel zur Kennzeichnung „politische Gefangene“ und wurden auch so in den Unterkünften sortiert. Dies ist auch der Grund, aus dem es kaum Dokumente über lesbische Frauen in den Konzentrationslagern gibt. Selten wurde hinter dem Namen einer Inhaftierten der Vermerk „lesbisch“ gemacht.
Da Homosexualität auch nach dem 2. Weltkrieg in der Gesellschaft tabuisiert wurde, gibt es heute so gut wie keine Aussagen von Lesben über ihre Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Nur wenige lesbische Frauen hinterließen einen Nachlass mit Dokumenten. Dies waren meistens Frauen aus der gehobenen Schicht, sodass aus anderen Bevölkerungsschichten keine Dokumente oder Zeugenaussagen vorliegen. Dies gilt auch für transsexuelle und non-binäre Menschen.

Fotos: Digitales Deutsches Frauenarchiv

Text: Xenia Marita Riebe

Lies auch: Lesbische Frauen im Nationalsozialismus Teil I

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