Kreative Kontrahenten
Der Neid machte bildende Künstler der verschiedenen Epochen zu erbitterten Gegnern.
An drei Beispielen soll hier aufgezeigt werden, dass Künstler Freunde sein können und dennoch erbitterte Rivalen. Vielleicht wäre ohne die Triebfeder Neid so manches berühmte Gemälde nicht entstanden, hätten große Künstler einige ihrer Schlüsselwerke nicht vollbracht, wäre da nicht ihr Gegenspieler gewesen.
Zwei große Maler der Renaissance
Michelangelo Buonarroti (1475–1564) und Leonardo da Vinci (1452–1519)
1503 erhält Leonardo da Vinci den Auftrag, den Palazzo Vecchio, den Sitz des Stadtparlaments von Florenz, neu auszugestalten. Doch er lässt sich zu lange bitten, nimmt sich zu viel Zeit, ehe er den Auftrag annimmt. Leonardo ist schon zu Lebzeiten ein berühmter Universalgelehrter und glaubt, dass niemand ihm den Auftrag streitig machen kann. Doch ein paar Monate später wird dem 23 Jahre jüngeren Michelangelo Buonarroti ebenfalls der Auftrag für das Projekt erteilt. Er hat gerade seine imposante Skulptur des David vollendet und damit großes Aufsehen erregt. Jetzt soll er Leonardo da Vinci anspornen, oder ihn gar ersetzen. Ein Wettstreit der Künste – Paragone genannt – beginnt. In der der Republik Florenz dreht sich während der Renaissance alles um Macht und Politik. So ist es nicht verwerflich, zwei der besten Künstler ihrer Zeit einen Doppelauftrag zu erteilen und abzuwarten, was geschieht. Da Vinci erhält den Zuschlag für ein Wandgemälde der Anghiari-Schlacht, während Michelangelo die Schlacht von Cascina umsetzen soll.
Es beginnt ein öffentlich inszeniertes Kopf-an-Kopfrennen. Der Großauftrag im Palazzo Vecchio wird von zwei rivalisierenden Multitalenten in Angriff genommen. Doch die Auftraggeber haben sich geirrt. Es gibt am Ende keinen Gewinner, denn die Wandgemälde im Palast bleiben unvollendet. Das Kräftemessen der beiden Künstler endet nach zwei Jahren.
Michelangelo Buonarroti wird von Papst Julius II. nach Rom berufen, um die Sixtinische Kapelle mit Gemälden auszugestalten. Leonardo da Vinci dagegen widmet sich wieder verstärkt seinen wissenschaftlichen Experimenten und arbeitet vor den Toren von Florenz weiter an seinen Flugapparaten.
Zwei Begründer der modernen Malerei
Vincent van Gogh (1853-1890) und Paul Gauguin (1848-1903)
Im Jahr 1888 lebt Vincent van Gogh im südfranzösischen Arles. Er hat das berühmte gelbe Haus gemietet und träumt davon, eine zukunftsweisende Künstlerkolonie zu gründen. Er stellt sich vor, das Haus zu einem Refugium für Künstler zu machen, die fernab von Paris im Licht des Südens neue malerische Positionen beziehen sollen. Er selbst hat sich bereits vom Impressionismus abgewandt und hofft darauf, mit anderen Künstlern zusammen eine freie Malerei zu praktizieren. Da er die Gemälde, die Paul Gauguin auf Martinique malte, bewundert, lädt er diesen als ersten Künstler ein, nach Arles zu kommen.
Theo van Gogh, Vincents jüngerer Bruder, ist Kunsthändler und Sammler. Er unterstützt seinen Bruder nicht nur mit Zuspruch, sondern auch finanziell. Auch fördert er andere junge, talentierte Künstler. Vincent überzeugt seinen Bruder davon, dass dieser Gauguins Aufenthalt in Arles finanziert. Als Gegenleistung soll er monatlich ein Bild des Malers erhalten. Da Gauguin nach seiner Rückkehr von Martinique nicht weiß, was er bis zu seinem geplanten erneuten Aufbruch in die Tropen machen soll, erscheint ihm das Angebot der van Goghs verlockend und er willigt schließlich ein.
Vincent van Gogh freut sich sehr auf die Ankunft seines Freundes und malt für dessen Zimmer eines seiner berühmten Sonnenblumenbilder. Er wird sich mit Gauguin 110 m² Wohn-und Arbeitsraum auf zwei Etagen teilen, aufgeteilt in zwei Schlafzimmer und einen großen Arbeitsraum. Doch schon bald nach Gauguins Ankunft zeigt sich, dass die beiden Freunde nicht harmonieren. Gauguin stört sich an van Goghs Unordnung und er versucht, Struktur in Haushalt und Arbeitsmaterialien zu bringen. Außerdem streiten die Freunde über Arbeitsauffassung, Maltechniken und Vorbilder. Van Gogh malt lieber draußen in der freien Natur und möchte seine Motive vor Augen haben. Gauguin hingegen arbeitet im Atelier und aus seiner Erinnerung. Er behält seine ganz eigene Bildsprache bei.
Trotz aller Schwierigkeiten sind die beiden Künstlerfreunde und Konkurrenten sehr produktiv. In den nur zwei Monaten, die sie zusammen in Arles verbringen, malt Gauguin 16 und van Gogh sogar 30 Bilder. Doch die Spannungen steigen. Vincent van Gogh fürchtet den Abschied von Gauguin und bei ihm machen sich auch erste Zeichen seiner psychischen Erkranken bemerkbar. Nach dem Geschehen um van Goghs verstümmelten Ohrs (Heilig Abend 1888) endet das Zusammenleben und der beiden Künstler, die sich in der Kunstgeschichte als herausragende Avantgardisten erweisen sollen. Sie gelten als die Mitbegründer der modernen Malerei.
Der Impressionist gegen den Expressionisten
Max Liebermann (1847-1935) und Emil Nolde (1867-1956)
Zur Frühjahrsausstellung 1910 in Berlin bewirbt sich Emil Nolde mit seinem expressionistischen Gemälde „Pfingsten“. Das Bild zeigt entrückte Gläubige zu Pfingsten, auf die Feuerzungen herabkommen. Die Gesichter der Menschen beherrschen das Gemälde.
Max Liebermann, der zu dieser Zeit Präsident der Künstlergruppe Berliner Secession ist, kritisiert Noldes Bild als Schmiererei. Er kann Noldes Farben und Formen, die er für widernatürlich und realitätsfern hält, nicht akzeptieren. Für Liebermann steht das malerische Handwerk im Vordergrund. Für ihn ist nur ein Künstler, wer den kompositorischen Aufbau eines Bildes und das Mischen der Farben beherrscht. Beides spricht er Nolde ab. Durch Liebermanns Einfluss wird Emil Noldes Bild nicht zur Ausstellung zugelassen. Wahrscheinlich befürchtet er, dass Emil Nolde zu einer für ihn gefährlichen Konkurrenz heranwächst.
Aus wohlhabenden Verhältnissen stammend, ist Max Liebermann darauf aus, seine Vormachtstellung unter den Berliner Künstlern auszubauen. Dabei lehnt er alles ab, was nicht seiner Auffassung von Malerei entspricht. Er fühlt sich wie ein Alleinherrscher, der über das berufliche Schicksal seiner Malerkollegen entscheiden kann.
Als er bewirkt, dass Emil Nolde von der Frühjahrsausstellung ausgeschlossen wird, lehnt dieser sich gegen den 20 Jahre älteren Liebermann auf. Nolde verfasst einen offenen Brief, der in der renommierten Kunstzeitschrift „Kunst und Künstler“ veröffentlicht wird. Darin heißt es: „Die ganze junge Generation ist übersatt von Liebermanns Arbeiten. Seine Kunst ist schwach und kitschig.
Dieser Brief, der von Liebermann als offene Kampfansage gewertet wird, kostet Nolde seine Mitgliedschaft in der Berliner Secession, aus der er von Max Liebermann ausgeschlossen wird.
Eigentlich hätte Emil Nolde mehr Verständnis von seinem älteren Kollegen erwarten können. Schließlich hatte sich Liebermann als junger Künstler auch gegen den allgemeinen Kunstgeschmack aufgelehnt und musste so manche Vorverurteilung einstecken. Er hatte gegen die vom Kaiser geförderten Heroengemälde angemalt, unverdrossen und aussichtslos. Er wandte sich vom Akademismus genauso ab, wie von den allgegenwärtigen Kriegsdarstellungen. Bäuerliche Szenen waren seine Sujets, was das Kunstpublikum schockierte. Er war als „Maler des Hässlichen“ verschrien.
Max Liebermann und Emil Nolde gingen Zeit ihres Lebens nicht auf einander zu, keiner von beiden hatte die Größe, die Kunst und die Genialität des anderen anzuerkennen. Sie blieben stets kreative Kontrahenten.
Heute sieht man ihre Bilder in den Museen in aller Welt. Max Liebermanns Gemälde „Die Gänserupferinnen“ hängt an einem zentralen Platz in der alten National Galerie in Berlin, Emil Noldes Bilder erzielen bei Aktionen Höchstpreise.
Nolde blieb trotz aller Kritik seinem Stil sein Leben lang treu. Er war ein Einzelkämpfer, der auch noch an sich glaubte, als mehr als 1000 seiner Gemälde im Dritten Reich als entartet verfemt und beschlagnahmt wurden.
Neid und Missgunst war für diese beiden eigenwilligen Künstler ganz sicher auch eine Triebfeder, durch die sie große Kunst hervorbrachten.
Text: © Xenia Marita Riebe
Lies hierzu auch: Neid und Missgunst unter Künstlern
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