Größte Vertikal-Windturbine: Testlauf mit Problemen

Die weltweit größte Windenergieanlage mit vertikaler Achse versagt erneut im Testlauf auf dem Windtestfeld Grevenbroch.
Auf dem weltweit größten Windtestfeld auf der Neurather Höhe bei Grevenbroich steht zur Zeit das weltweit größte Vertikal-Windrad der Megawatt-Klasse. Die Schweizer Firma Agile Wind Power hat das System entwickelt.Die Maschine namens „Vertical Sky A32“ hat 32m Durchmesser, ist 105m hoch und soll 750kW leisten.
Beim ersten Testlauf im November 2020 kam es zu einem Crash, Bruch eines Rotorarms.
Die Anlage wurde in 2021 neu konstruiert und 2022 im Windtestfeld Grevenbroich erneut installiert.
Im März 2023 kam es dann zu enem zweiten Chrash, wieder brach ein Rotorarm.

In der Technik der Windturbinen dominieren eindeutig die Horizontalachser mit 3 Flügeln, die mit dem Wind geführt werden.

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Windtestfeld Grevenbroich, Vertical Sky a32 im Bau, im Hintergrund das Braunkohlekraftwerk Neurath. Aufnahme vom 18.08.2020

„Vertikalläufer machen eigentlich nur Probleme“, heißt es bei Experten. Mindestens ein Rotorblatt läuft immer gegen den Wind. Durch die schnelle Änderung der Anstellwinkel kommt es zum Strömungsabriss an den Blättern und damit zu Leistungsverlusten.

Im Vergleich zu den heute üblichen Horizontal-Achsen-Windrädern liefern die Verikalen ca 30% weniger Leistung. Dieses Problem hat Agile Wind Power angeblich gelöst durch eine „Echtzeit-Rotorblatt-Pitch-Steuerung“ Die aktive und kontinuierliche Blattverstellung ermöglicht einen hohen Wirkungsgrad bei tiefen Drehzahlen des Rotors. Der Anstellwinkel zur Windrichtung ist dadurch jederzeit optimal

Damit wäre man der größten Herausforderung erfolgreich begegnet, nämlich der dynamische Strömungsabriss der Blätter, da sich der Anstellwinkel schnell ändert.

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Die vertikale Achse mit den pitch-gesteuerten Rotorblättern

Auf der Website der Firma werden die Vorteile aufgelistet:

Die deutlich geringere Lautstärke sowie die einfache Logistik für Transport, Installation, Betrieb und Unterhalt sichert eine hohe Umwelt-Verträglichkeit. Das ermöglicht, Vertical Sky® näher an besiedelte Gebiete zu rücken. Schwierig zugängliche Standorte, die mit bestehenden Technologien nicht bedient werden können, lassen sich so mit geringem Aufwand erschliessen. Das macht Vertical Sky® für die dezentrale Stromversorgung attraktiv.
Tiefe Betriebskosten sichern eine hohe Wirtschaftlichkeit. Leichte Bauteile ermöglichen einen einfachen Transport ohne grössere Flurschäden. Eine Vertical Sky® Anlage braucht weder Sondertransporte noch Spezialkräne. Ein komfortables Selbstaufbau-System schont die Ressourcen Mensch und Natur.

Der nun im Windtestfeld Grevenbroich anlaufende Testbetrieb wird zeigen, wie sich diese neue Entwicklung in der Praxis bewährt. Sobald etwa Anfang Oktober die Flügel im Wind rotieren werden wir an dieser Stelle berichten.

Hier das erste Video vom Testlauf, Rotorblätter noch im fixed pitch Modus, verstellen sich also nicht.

Text und Fotos: Bernd Riebe, OCT 2020

Update- 19 NOV 2020: Erster Crash

Agile Wind Power hat soeben eine Pressemitteilung herausgegeben:

An der neuen Gross-Windanlage Vertical Sky® A32, die Anfang September auf dem Windtestfeld in Grevenbroich bei Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen, Deutschland) errichtet wurde, ist am Sonntag 15. November 2020 kurz nach 19:00 Uhr ein Rotorarm abgebrochen. Personen wurden nicht verletzt. Es entstand Sachschaden.
Anfang September 2020 wurde auf dem Windtestfeld in Grevenbroich (NRW, D) die Windenergieanlage Vertical Sky® des Typs A32 des Schweizer Unternehmens Agile Wind Power AG erfolgreich montiert und daraufhin mit der Inbetriebnahme der Anlage begonnen.
Am Abend des Sonntags 15. November 2020 – noch während der Phase der Inbetriebnahme – brach an der Anlage ein Rotorarm mit dem daran befestigten Rotorblatt ab. Es wurde niemand verletzt. Neben Flurschaden und dem Schaden des betroffenen Rotorarms und Rotorblatts sind keine weiteren Drittschäden zu verzeichnen.
Nach Bekanntwerden des Vorfalls wurde die Sicherung der Unfallstelle veranlasst. Untersuchungen zur Ermittlung der Schadensursache wurden eingeleitet

23 NOV 2020:

Windturbine Fracture

Zur Zeit der Havarie zog eine Kaltfront durch, dabei wurden an nahegelegenen Wetterstationen Windböen um 20m/s  (Bft 8) gemessen. Der abgebrochene Rotorarm mit Flügel liegt ca 50m vom Turm entfernt.

Text und Fotos: Bernd Riebe

Die vielen interessanten Kommentare auf der englischsprachigen YouTube-Seite haben mich angeregt, zum Thema Vertikalachsen-Turbinen einen zusammenfassenden Kommentar abzugeben:

Die Kommentare sind interessant, aber von einigen Usern zu voreilig. Das System hat seine entscheidenden Vorteile. Speziell in Bezug auf die geringe Drehzahl und die damit verbundene Geräuschreduktion und die bessere optische Verträglichkeit für die Fauna. Dann gilt das Prinzip, lieber eine Anlage mit schlechterem Wirkungsgrad aufstellen als gar keine an dem Standort.
Der Wirkungsgrad ist beim Vertikalachser per se schlechter, das ist auch mit der Hauptgrund, warum sich diese Anlagenform nicht durchgesetzt hat. Die (ungepitchten) Blätter laufen nie in konstant guter Anströmung und auf der einen Seite müssen die Blätter windaufwärts laufen, was ebenfalls Leistung frisst.
Jedoch: Während der Horizontalachser nur in EINER Ebene dem Wind Leistung entzieht, existieren beim Vertikalachser zwei Entnahmeebenen. natürlich kann man dem Wind nicht mehr Leistung entziehen, als drin steckt (Betz-Regel) aber nach dem Abbremsen in der ersten Ebene und dem damit verbundenen Druckgefälle kommt es zu einer Durchmischung der abgelaufenen Stromröhre mit der ungebremsten Umgebungsluft. Die Stromröhre schnürt sich also wieder etwas ein, sodass sie in der 2. Entnahmeebene wieder etwas aufgeweitet werden kann. Balanciert man die Aerodynamik so, dass in der ersten Ebene nicht komplett gebremst wird, kann man das für sich nutzen.
Selbstverständlich ist eine treffsichere Berechnung eines Vertikalachsers dementsprechend schwer und nicht möglich. Das ist bei der HAWT deutlich einfacher.
Setzt man nun einen zyklischen Pitch ein, dann kann man die Nachteile des VAWT deutlich reduzieren.
Ein User spricht davon, dass augescheinlich die Pyhsik ausgetrickst werden soll. Dem ist hier nicht so. Das Konzept ist aus vielerlei Hinsicht vorteilig, z.B. von der Kostenseite her. Man muss also das Gesamtsystem unter einer wirtschaftlichen Betrachtung ansehen und darf nicht nur auf die physikalische Wirksamkeit abzielen.
Tatsächlich besitzt der VAWT eine ausgefallenere Lastdynamik weil mehr dynamische Effekte auftreten. Die Blätter werden wechselseitig saug- und druckseitig angeströmt und der hintere Blattdurchgang ist hinter dem turbulenzerzeugenden Turm bzw. im Nachlauf der vorderenen Entnahmeebene. Doch diese Wechselbelastungen lassen sich heutzutage sehr gut mit aero-elastischen Werkzeugen berechnen.
Auch materialseitig weiß man heute deutlich mehr als früher und kann die Faserverbundbauteile den Lasten entsprechend Dimensionieren. Die Simplizität der Flügel (ebenes Profil) ist bei Bau ein riesen Vorteil und deutlich einfacher automatisierbar als die verwundenen Blätter der HAWT. Aber der eine User hat recht, Fliehkräfte erzeugen nach außen gerichtete Biegemomente, denen man mit einer steiferen Struktur begegnen muss, die wiederum masse mitbringt, die zu höheren Fliehkräften führt. Zum Glück gibt es heutzutage Materialien, deren Reißlänge entsprechend ist (CFK z.B.).
Ein Blattschaden kann aus vielerlei Gründen auftreten. Baufehler, Montagefehler, Materialfehler, Regelungsfehler, Fehler in der Lastannahme, Abweichung der Windverhältnisse von den Simulationen, Berechnungsfehler der Struktur. Mit dieser Anlage wird auf vielen Positionen Neuland betreten, da ist die Lernkurve stets sehr steil. Man denke nur an den (horizontalachsigen!) GROWIAN.
Das verlängern der Arme und das Verkürzen der Blätter ist m.E. nicht zielführend, weil die Fliehkraft sich dadurch nicht ändert.
Bei Windkraftanlagen handelt es sich um hochdynamische Systeme, die fachfremde Mensch nur zu oft unterschätzt. Auch HAWT unterliegen unglaublichen Wechsellasten und es brechen auch hier “ständig” Rotorblätter ab, die Presse ist voll davon.
Wir sind ebenso gespannt, wie das Projekt weitergeht und drücken diesem Anlagentyp und die Schweizer Firma die Daumen.

Bernd Riebe, 13.DEZ 2020

Zum Thema: Günther Kunz – Analyse Vertical Sky Crash, FEB 2021

Update 26 Juli 2021

windtestfeld
Die alten Flügel der Anlage liegen zum Abtransport bereit, im Hintergrund der Turm

Nach dem Crash im November 2020 tut sich wieder etwas auf dem Windtestfeld bei Grevenbroich. Die Firma Agile Wind Power hat die Schadensursache analysiert und die Arbeiten an einem neuen modifierten Rotor begonnen. die neue Konstruktion soll im Oktober fertiggestellt sein. (weitere Infos in der Medienmitteilung vom Feb 2021)

Rotorkopf
Der demontierte Rotorkopf, 27. 07.201

 

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Foto vom 13. Dez.2021

Update Dezember 2021

Noch deutet nichts auf eine erneute Montage des Prototyps hin. In einem Video-Talk nennt Patrick Richter von Agile Wind Power “Januar” als Termin für die Montage.

 

Bernd Riebe, 27.12.2021

Update 23 Juni 2022 – Neue Anlage fertiggesstellt

vertkal wind turbine neu
Die neukonstruierte Anlage – Foto vom 23.06.2022
VWT neu

Die Komponenten des zweiten Prototyps sind nun fertig montiert und bereit für den ersten Testlauf.

Bernd Riebe, 23 Juni 2022

Update 04.11.2022

Nach Angaben von Agile Wind Power darf die neue Anlage  nach der Freigabe durch die Behörden zu Testzwecken drehen. Es gab die Auflage, die Eigenfrequenzen der Anlage zu messen und mit den Berechnungen zu vergleichen, was mit positivem Ergebnis geschah. In der nächsten Zeit bis zur Inbetriebnahme werden noch verschiedene Messungen und Arbeiten vorgenommen. Wir werden an dieser Stelle weiter berichten.

Bernd Riebe, 04.11.2022

Update 27.04.2023 Zweiter Crash

Beim heutigen Besuch des Wndtestfelds mussten wir leider feststellen, dass die neu errichtete Anlage einen zweiten Crash erfahren hat. Wieder kam es zu einem Bruch eines Rotorarms.

VWT
Die Bruchstelle am Rotorarm, das Rotorblatt am zweiten Arm wurde bereits demontiert.

Nach Angaben von Agile Wind Power wurden Ende 2022 Risse am Rotor entdeckt, noch bevor der eigentliche Testlauf beginnen konnte.Im März 2023 hatte man begonnen, die Rotorblätter und den Rotor abzubauen, um die Schäden zu begutachten, bzw. zu beheben. Ein Rotorblatt war bereits demontiert und in der Nähe gelagert, als es am Samstag, 25.03.23 zu dem Crash kam, bei dem ein Rotorarm abknickte und das 22t schwere Rotorblatt sich in der Stahlkonstruktion des Trageturms verfing. An diesem Tag wehte ein stürmischer Wind mit Sturmböen um 80 km/h

Dieses Foto zeigt den abgeknickten Rotorarm mit dem im Turm verfangenen Rotorblatt (Foto: Mitarbeiter Agile Wind Power)

Ich konnte nicht in Erfahrung bringen, wie der abgenickte Rotorarm nebst Rotorblatt anschließend zu Boden kam, wahrscheinlich im freien Fall, darauf lassen jedenfalls die Beschädigungen am unteren Trageturm schließen.

Das durch den Aufprall am Boden zerstörte Rotorblatt. Zu sehen sind auch Schäden an der Stahlkonstruktion.

Diese zweite Haverie ist offensichtlich ein herber Rückschlag für dieses, wie ich meine, so innovative Projekt mit eigentlch sehr guten Marktchancen. Bleibt zu hoffen, dass CEO Patrick Richter und seine Unterstützer den Mut aufbringen, dem Projekt noch eine dritte Chance zu geben.

Bernd Riebe, 28.04.2023

Fotos: Xenia Marita & Bernd Riebe

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