Die Zeit – eine Sprachreise
Ich möchte sprachinteressierte Zeitgenossen mitnehmen auf eine ganz besondere Zeitreise durch den deutschen Sprachraum. Der Begriff Zeit in all seinen überaus vielfältigen Formen und Wendungen soll uns dabei Weg und Ziel sein. Da wir in fast allen Bereichen unseres Lebens dem Phänomen Zeit begegnen und unsere Sprache daher entsprechend angereichert ist mit Zeit-Wörtern und Zeit-Wendungen kann dies keine all-inclusiv Pauschalreise werden, sondern wir werden lediglich beispielhaft einige Sprachwelten besuchen und die wesentlichen Zeit-Varianten betrachten.
Zeitvertreib zur Tea Time
Wir sitzen zur Tea Time zu einem zwanglosen Gespräch zum Thema Zeit zusammen unter Freunden. Da ist der Physiker, für den die Zeit natürlich eine klar definierte physikalische Größe ist, und der, da in Zeitnot, sich auch gleich verabschiedet mit dem Hinweis auf einen Artikel im Blue Blog, wo das Thema unter physikalischen Aspekten eingehend behandelt wird. Kurze Zeit darauf verabschiedet sich auch der Germanist wegen eines dringenden Termins, ebenfalls nicht ohne auf den erwähnten Blog zu verweisen mit einen Aufsatz zum Thema Zeit in der Literatur.
Mein verbleibender Gesprächspartner, ein Student der Germanistik, zeigt großes Interesse für unser Thema, insbesondere für den sprachlichen Gebrauch im Alltag.
Vertreiben wir uns die Zeit ein wenig, bemerke ich absichtsvoll und erhalte die erwartete Reaktion: – Wieso vertreiben? Wegscheuchen im Sinne von entfernen?
– Es ist wohl eher so, dass dieser Wendung die Vorstellung zugrunde liegt, den Lauf der Zeit etwas zu beschleunigen, voranzutreiben, damit sie schneller vergeht, etwa um eine langweilige, ereignislose Situation zu beenden. Eine gewisse Steigerung wäre noch die Zeit totschlagen, obwohl dies eher abwertend gemeint ist im Sinne von die Zeit nutzlos verbringen.
– Diese Zeit-Wendungen interessieren mich, wie etwa: Es wird Zeit, dass du mal aufräumst! (mein WG-Mitbewohner). Ich antworte dann gern, da hast du recht, die Zeit wird kommen, wenn auch ich aufräume..
– Gemeint ist natürlich, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, ab dem gehandelt werden sollte, oft als Vorwurf gemeint, dass dieser Zeitpunkt eigentlich schon in der Vergangenheit läge. Doch wird diese Wendung auch völlig wertfrei gebraucht im Sinne von es muss sofort gehandelt werden, z.B. zur Vermeidung unangenehmer Folgen. So etwa in gesteigerter Form: Es wird höchste Zeit, dass wir hier verschwinden…
– Da gibt es diesen Song von Hannes Wader Es ist an der Zeit – Gibt’s da Bedeutungsunterschiede?
– Sicher, die betreffenden Zeilen erinnere ich noch:
Doch finden sich mehr und mehr Menschen bereit
Diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit
Diese Aussage ist offensichtlich von sehr viel allgemeinerer Bedeutung im Sinne von die Zeit ist gekommen, für weitreichende Veränderungen, zum Beispiel.
– Ich habe keine Zeit – diesen Satz höre ich fast jeden Tag, die Botschaft ist klar, doch was heißt das wirklich, etwa, keine Zeit zu besitzen?
– Die Wendung gibt in dieser verkürzten Form tatsächlich wenig Sinn, dies ist so etwas wie ein Code, der erst in eine sinnhafte Aussage übersetzt werden muss. Schon Ich habe keine Zeit zur Verfügung kommt der eigentlichen Bedeutung etwas näher, doch erst die Frage, warum die betreffende Person keine Zeit zur Verfügung hat für diese besondere Aktion, auf die sich diese Aussage bezieht, macht deutlich, es geht um das Setzen von Prioritäten. Keine Zeit zu haben, heißt ja nicht, dass es diese nicht gibt, sie wird eben nur für etwas anderes benutzt. Dieses andere ist offensichtlich weniger wichtig. Also eigentlich eine Aussage, die mit Vorsicht zu genießen ist, gibt es doch beim Setzen von Prioritäten immer auch Entscheidungen zu treffen, die nicht nur Zustimmung erfahren.
– Wir dürfen keine Zeit verlieren fällt mir ein, hier geht es doch auch um die Frage wie wir die Zeit nutzen, oder?
– Richtig. Keine Zeit verlieren weist auf die Notwendigkeit hin, möglichst schnell zu handeln, damit die Handlung erfolgreich ist.
Die verlorene Zeit ist ja ein Synonym für einen Zeitraum, in dem man bestimmte Handlungen entweder versäumt oder mit wenig Erfolg getätigt hat.
– Heißt denn wir müssen Zeit gewinnen, möglichst langsam voranzugehen?
– Zumindest sollte man auf irgendeine Weise erreichen, dass sich das Eintreten bestimmter, besonders ungünstiger Umstände verzögert und man Zeit für entsprechendes Handeln hat. In diesem Zusammenhang wäre auch die Zeit arbeitet für uns zu erwähnen.
– Kannst du mal ein Beispiel nennen?
– Wir sind im hohen Norden ringsum vom Eis eingeschlossen, doch der Frühling naht und damit mildes Wetter, das Eis wird schmelzen…Wir warten einfach und lassen die Zeit für uns arbeiten!
– Ich höre dir die ganze Zeit interessiert zu, das heißt doch aber, ich höre dir über einen längeren Zeitraum zu, benutzen wir nicht häufig Zeit als Synonym für Zeitabschnitt, Zeitspanne, Zeitraum?
– Das hast du ganz richtig erkannt. Der Begriff Zeit hat sehr viele Bedeutungsvarianten, ich kenne kein anderes Wort, das so vieldeutig ist. Die folgenden Beispiele mögen das belegen. Hier steht Zeit einfach nur für einen bestimmten Zeitabschnitt, in dem sich etwas näher Bezeichnetes geschieht:
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- die Zeit des Studiums
- die schönste Zeit des Lebens/im Leben
- es verging viel Zeit, bis sie wieder zurückkam
- er hat Zeiten, in denen er sehr reizbar ist
- eine schöne Zeit verbringen, verleben
- der Vorfall liegt schon einige Zeit zurück
- sie sind schon längere Zeit verheiratet
- er hat die ganze Zeit (ständig, ununterbrochen) telefoniert
- das Auto steht die meiste Zeit (während des größten Teils der Zeit) in der Garage
- eine kurze Zeit lang
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Ich mag diese „streamlined versions“ in unserer Sprache, stell dir vor, statt des stromlinienförmigen eine kurze Zeit lang hieße es innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums– das wäre zwar sehr viel exakter, aber doch arg holprig und stilistisch unschön.
– Danke, das war eine sehr anregende Teestunde. Die Zeit ist mir überhaupt nicht lang geworden. Ich hätte nicht gedacht, dass Zeit und überhaupt Sprache ein solch interessantes Thema ist. Ich bin schon gespannt auf deinen Artikel, der ja wohl bald erscheint, aber lass dir nur Zeit!
Lass dir Zeit! Danke für den Tipp, denke ich. Doch was bedeutet sich Zeit lassen?
Gemeint ist doch wohl, genügend Zeit zur Verfügung stellen für etwas, für eine bestimmte Handlung z.B. einen Artikel schreiben – oder die Aktion erst zu beginnen ab einem Zeitpunkt, der etwas weiter in der Ztukunft liegt. Liegt die Betonung jedoch auf der Dauer der Handlung, wäre die Wendung sich Zeit nehmen die bessere Version. Schaut man auch hier genauer hin, gibt es wieder Fragen: Wenn ich mir Zeit nehme für eine bestimmte Handlung, heißt das, ich erledige diese Aktion innerhalb eines längeren Zeitraums? Offensichtlich. Ich könnte dies auch in kürzerer Zeit erledigen. Die eigentliche Arbeit verrichte ich also langsamer, Physikalisch gesehen, leiste ich weniger, da für die Leistung bekanntlich der Quotient aus Arbeit und Zeit gilt. An diesem Beispiel wird mir wieder einmal klar, wie Sprache durch (zulässige) Vereinfachung und Verkürzung auf wundersame Weise, auch komplizierte Zusammenhänge für jedermann verständlich darstellen kann,.
Die Zeit in der Arbeitswelt
Schauen wir uns nun ein wenig in der Arbeitswelt um. Auf meine Frage nach der Arbeitszeit antwortet mir der Betriebsleiter, das könne er so allgemein nicht sagen, Einige arbeiten eben Vollzeit andere Teilzeit, die meisten hätten gleitende Arbeitszeit. Dann arbeite man überwiegend im Zeitakkord auf der Grundlage einer Vorgabezeit je Auftrag, bei einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden und 24 Werktagen Urlaub bliebe genügend Freizeit und im übrigen gäbe es auch nur wenig Fehlzeiten. Der Betriebsleiter muss wohl meine Erstaunen ausdrückende Miene bemerkt haben und erklärte, dass für den Unternehmer wie auch für den Mitarbeiter Zeit eben Geld sei und der Zeitfaktor bei der Produktivität eine immer größere Rolle spiele. Daher auch die Just-in-time Produktion bei dem nur das Material in der Stückzahl und zu dem Zeitpunkt produziert und geliefert wird, wie es auch tatsächlich zur Erfüllung der Kundenaufträge benötigt wird. Dann müsse doch die Zeit eigentlich für ihn arbeiten, entgegnete ich, worauf er nach einer kurzen Zeit des Überlegens sagte, dass sie sich eigentlich immer in einem steten Wettlauf gegen die Zeit befänden und er daher auch dieses Gespräch beenden müsse – „Sie wissen schon, die Zeit drängt!“
Verlassen wir die trocken-nüchterne Arbeitswelt, diese getaktete zeitbestimmte Maschinerie, die gnadenlos ihr Zeitdiktat ausübt und dies für die meisten von uns über eine Lebensalterszeit von über 40 Jahren!
Die Zeit in der Welt des Sports
Wir reisen weiter in die Welt des Sports, in der es vor Zeiten nur so wimmelt! Ich frage eine Läuferin nach ihren Zeiten. Heute, sagt sie, sei sie mal eine gute Zeit gelaufen, war sogar Zeitschnellste, aber immer noch weit entfernt von ihrer Bestzeit. Ihr Trainer, der die Zeiten stoppt, führt das zurück auf die lange Auszeit, die sie hat nehmen müssen.
Eine Auszeit gibt es übrigens auch bei den Handballern, das sogenannte Team Time Out (TTO).
Jede Mannschaft hat dreimal während der regulären Spielzeit das Recht auf ein TTO von einer Minute Dauer. Die Auszeit wird vom Trainer beantragt beim Zeitnehmer, der zum Kampfgericht gehört. Bei schweren Regelverstößen gibt es Zeitstrafen, d.h. Der Spieler muss z.B. für 2 min auf die Bank. Oft versucht eine vorn liegende Mannschaft auch diesen Vorsprung über die Zeit zu bringen, also auf Zeit zu spielen. Auch dieses Zeitspiel kann der Schiedsrichter ahnden.
Die Zeit in der Reisewelt
Große Bedeutung haben Zeiten natürlich in der Reisewelt. Ob Bus, Bahn, Flieger, immer geht es um Abfahrtszeiten, Ankunftszeiten, Fahrzeiten, Flugzeiten. Letztere sind besonders interessant, weil sich hier deutlich zeigt, dass unsere (Uhr)-Zeit relativ ist und letztlich auf einer allgemein akzeptierten Übereinkunft basiert. Auf der Abflugtafel im Flughafen Frankfurt wird ein Flug nach New York um 11:25 Uhr angezeigt, Ankunft 15:15 Uhr, also 6200km in unter 4 Stunden? Natürlich nicht. Der Zeitunterschied zwischen Frankfurt und New York beträgt 5 Stunden, die New Yorker liegen also 5 Stunden hinter unserer Zeit, so dass die Ankunftszeit „eigentlich“ 20:15 Uhr ist.
Bei der Bahn werden Verspätungsminuten angezeigt, allerdings erst ab 5 Minuten, darunter macht die Bahn es nicht, der Zug ist dann einfach per definitionem pünktlich. Beim Umsteigen können solche Verspätungsminuten jedoch entscheidend sein, besonders bei kurzen Übergangszeiten, also die Zeit, die mir bleibt zwischen Ankunft des einen und Abfahrt des anderen Zuges bleibt. Auf der Straße besonders „beliebt“ sind die Stauzeiten, planen Sie 30 Minuten länger ein heißt es da oft in den Verkehrsmeldungen, wie überhaupt beim Sraßenverkehr nicht so sehr die Distanzen von Bedeutung sind sondern die Fahrzeiten. Wie weit ist das von hier? So ungefähr 20 Minuten.
Ein wenig Etymologie
Dieses Wort Zeit, das uns heute immer und überall begegnet, ist nun gar nichts Neues. Schauen wir im Kluge nach, dem bekannten etymologischen Wörterbuch, so sind früheste Zeugnisse schon aus der Zeit vor dem 8.Jhd. bekannt. Im Germanischen hieß es noch tidi, im Altnordischen tid, was im Englischen und Niederdeutschen als tide (Gezeiten) gebraucht wurde. Im Althochdeutschen sagte man zit, was dem heutigen Wort schon sehr nahe kam. Kurz vor 1300 wurde im Kölner Raum übrigens das Wort zidung üblich, die Vorform unserer Zeitung, daraus wurde im Mittelniederdeutschen tidinge im Altenglischen tidung mit der Bedeutung Botschaft, Nachricht, Meldung mit der Verbform tidan (sich ereignen)
Ich schließe hieraus, dass unsere Vorfahren einen sehr viel konkreteren Zeitbegriff hatten, vielleicht die Zeit gar nicht als etwas Abstraktes begriffen, sondern eher die Abfolge konkreter Ereignisse benennen wollten. Dies käme einer heutigen naturwissenschaftlichen Definition sehr nahe:
Zeit beschreibt die Abfolge von Ereignissen
Hier allerdings wäre es an der Zeit, unser Thema physikalisch zu betrachten, und zwar in einem gesonderten Artikel – Was ist Zeit? Versuch einer Erklärung
Hoch interessant und lesenswert auch natürlich Xenias Aufsatz Die Zeit in literarischen Werken und Romanen
Text: Bernd Riebe – Digitale Collagen: Xenia Marita Riebe
Alles zum Thema Zeit in diesem Blog:
Die Zeit inder Kunst
Die Zeit in literarischen Werken und Romanen
Die Zeit in der bildenden Kunst von Xenia Marita Riebe
Die Zeit – Versuch einer Erklärung
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