Die eigentümliche Bilderwelt des Norbert Tadeusz

Gemälde Norbert Tadeusz (Ausschnitt) – Museumsinsel Hombroich

Betritt der Besucher den Tadeusz Pavillon auf der Museumsinsel Hombroich im Kreis Neuss, ist er überwältigt von der Monumentalität und der großen Farbigkeit der dort ausgestellten Gemälde von Norbert Tadeusz. Es braucht seine Zeit, ehe sich Körper und Seele auf das dort Gezeigte einlassen können. Doch diese Zeit, sollte man sich nehmen. Nur einen kurzen Blick auf das vielschichtige Werk des Düsseldorfer Künstlers zu werfen, hieße, seiner großartigen Malerei nicht die Würdigung entgegenzubringen, die sie verdient hat. An den Wänden, des sich durch schlichte Architektur auszeichnenden Pavillons, stehen je zwei weiße Bänke, die zum Verweilen und Betrachten der Gemälde einladen. Ankommen, schauen und entdecken heißt die Devise beim Werk von Norbert Tadeusz.
Auf den ersten Blick glaubt der Museumsbesucher, zweimal dasselbe Bild an der Kopfwand des Pavillons zu sehen. Auf zwei riesigen Leinwänden von je 8 Meter Höhe und 4 Meter Breite tummeln sich nackte menschliche Gestalten neben bekleideten Matrosen mit Musikinstrumenten und Hälften von geschlachteten Tieren. Turnübungen werden gemacht, Leinwände durch das Bild getragen und im Deckel eines perspektivisch verzerrten Flügels spiegelt sich der bewölkte Himmel. Grotesk mutet eine Kutsche am unteren Bildrand an, deren übergroßer dunkelblauer Schatten Pferd und Räder fokussiert, während sich die eigentliche Kutsche kopfüber aus ebendiesem Schatten zu entwickeln scheint. Der Schlagschatten des Kutschers zeigt, statt seiner, drei Frauenakte, die sich umschlungen halten und dabei ihre langen Haare herabhängen lassen. Diese Szene ist, wie fast alle anderen in den beiden Gemälden, von einem erhöhten Blickwinkel gemalt. Dem Betrachter drängt sich der Gedanke auf, dass der Maler auf einer hohen Leiter gestanden haben muss, als er die Figuren und Gegenstände malte. Und tatsächlich spielen Leitern auch häufig eine besondere Rolle in den Gemälden von Norbert Tadeusz. Manchmal kommen gar die Füße des Malers, auf der Sprosse einer Leiter stehend, mit auf das Gemälde. Oder der Maler zeichnet – wie in der Lithografie „Roter Sessel“ – gleich seinen eigenen Schatten mit ins Bild. Tadeusz, eine Fotokamera haltend, hoch oben auf einer Stehleiter, vor ihm in der Mitte des Raumes ein großer roter Sessel, auf dessen Kante sich eine nackte Frau ausstreckt und dem Maler ihren runden Po präsentiert.
Auch in den Monumentalgemälden auf der Museumsinsel Hombroich sind vier Leitern zu sehen. Jeweils im oberen Bereich der Bilder steht je eine Stehleiter. Und dort wird, wie an vielen anderen Stellen auch, sichtbar, dass es sich bei den beiden Gemälden nicht um zwei exakt gleiche handelt.

Gemälde Norbert Tadeusz (Ausschnitt) – Museumsinsel Hombroich

Im rechten Gemälde tragen zwei nackte Frauen den Oberkörper einer dritten, sehr weißen Nackten, auf ihren Schultern. Die Beine der leblos wirkenden Frau sind ausgestreckt und ihre Waden lagern auf der Plattform der Leiter. Hinter der Stehleiter steht ein großer Hund.
Das linke Gemälde zeigt dieselbe Frauengruppe an der Stehleiter, doch jetzt scheinen die beiden lebenden Frauen die andere von der Leiter abzunehmen. Der große Hund ist verschwunden. Stattdessen läuft eine Nackte mit überdimensionalen weißen Gummihandschuhen durch das Bild. Will sie den beiden anderen nackten Frauen helfen, die eine große Leinwand tragen?

Abnahme vom Kreuz – Caravaggio

Die Szene der Abnahme von der Leiter in Tadeusz Bild erinnert an Gemälde der Abnahme Jesus vom Kreuz, ein Motiv, das seit dem 9. Jahrhundert in unzähligen Gemälden verarbeitet wurde. Auch Michelangelo Merisi da Caravaggio (genannt Caravaggio) malte zwischen 1602 – 1604 den Leichnam Jesus Christus nach der Abnahme vom Kreuz. Caravaggios bedeutendste malerische Innovation waren das Chiaroscuro, die Hell-Dunkel-Malerei, als ein Gestaltungselement der Szenen. Auch Norbert Tadeusz war ein Meister dieser Technik und teilte seine Gemälde häufig in Licht- und Schattenbereiche auf.

An der Stufenleiter in der Mitte, turnt im linken Bild eine Frau, umgeben von Männern einer Musikkapelle, die Matrosenuniformen tragen. Die Musiker sind in kleinen Gruppen in ein Gespräch vertieft. Niemand beachtet die Nackte, die an der Leiter Verrenkungen vollführt. Im rechten Gemälde ist aus der Frau ein Mann geworden, während alles andere gleich bleibt. Nur die Farbintensität der Schatten hat sich verändert.
In beiden Gemälden vollführen nackte Menschen, neben anderen Motiven, artistische Übungen. Für Norbert Tadeusz waren diese eine Metapher für den ewigen, existentiellen Kampf des Menschen.

Gemälde Norbert Tadeusz – Museumsinsel Hombroich

Einige der Motive begegnen dem Besucher auch in den beiden kleineren Gemälden des Tadeusz Pavillon. Auch diese Bilder, die einander gegenüber hängen, wirken auf den ersten Blick gleich. Szenen mit „sich anstrengenden Menschen“, wie Tadeusz sie nannte, Musikinstrumente, Hälften von Schlachttieren und Leitern, alles scheint wiederzukehren. Und doch unterscheiden sich diese Gemälde von ihren großen Schwestern. Hier scheint das Augenmerk des Künstlers vor allem auf dem Spiel mit Licht und Schatten gelegen zu haben. Jeweils etwa die Hälfte der gemalten Szenen spielen sich im dunklen Schatten ab. Teilweise ragen Körper und Pflanzen aus den dunklen Bildteilen in die hellen, scheinbar sonnenbeschienenen Bildflächen hinein.

Die Verneigten – Viktor Stricker

Der Kunstmaler Viktor Stricker erklärt dazu:
„Die Faszination der Malerei von Norbert Tadeusz geht vom Kontrast zwischen den Licht- und Schattenbereichen in seinen Gemälden aus. Damit bewegt sich Tadeusz in der Tradition von Michelangelo Merisi da Caravaggio, der als erster die Chiaroscuro, die Hell-Dunkel-Malerei, als ein Gestaltungselement in seinen Gemälden einsetzte. Caravaggio entwickelte um 1590 auch die Tenebrismo, eine kräftige, besonders kontrastierende Form der Chiaroscuro. Er setzte hartes, gerichtetes Licht ein, um die Figuren aus der Umgebung herauszuheben. Damit bewirkte er, dass die innere Spannungen gesteigert zum Ausdruck kam. Tragende Farben sind dabei Grau-, Braun- und Olivtöne, die er in den dunklen Bildteilen verwendete. So hob er die natürlichen Farben auf, während sie im Lichtbereich des Gemäldes wieder mit einbezogen wurden. Auch der Barockmaler Rembrandt van Rijn nutzte die Effekte der Hell-Dunkel-Malerei in seinen Gemälden zur Darstellung seelischer Befindlichkeiten.

Norbert Tadeusz spielte in seinen Gemälde gekonnt mit den Hell-und Dunkelwerten der Farben. Er veränderte nicht den Tonwert der Farben aus den hellen Bereichen, sondern verwendete je eine andere dunklere Farbe, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Dabei legte er Wert auf die Benutzung von warmen Farben in den scheinbar von der Sonne erhellten Bildteilen. In den Schattenbereichen malte er dagegen eher mit kalten Farben. Dies ist sehr gut bei Objekten zu erkennen, die sich sowohl im Schatten- wie im Lichtbereich befinden.“

Viktor Stricker kennt sich mit der Darstellung von Menschen sehr gut aus. In seinen Arbeiten zeigt er häufig Menschen in Reihungen oder in Gruppen. Manche schreiten aus, andere verbeugen sich und wieder andere sind dargestellt, als sehe der Künstler sie von einem Balkon aus. Parallelen zum Werk von Norbert Tadeusz sind die ungewöhnliche Perspektive in Viktor Strickers Gemälden, wie auch die starke Farbigkeit bei einer Vorliebe für bestimmte Farbnuancen.

Gemälde Norbert Tadeusz – Museumsinsel Hombroich

Norbert Tadeusz wurde am 19. Februar 1940 als Sohn eines Kürschners in Dortmund geboren. Er starb am 11. Juli 2011 in seinem Atelier in Düsseldorf an einer Krebserkrankung.
Nach der Schule absolvierte Tadeusz eine Ausbildung zum Dekorateur, obwohl er eigentlich Steinmetz werden wollte, was sich aber nicht realisieren ließ. Während seiner Ausbildung wurde schnell deutlich, dass der junge Mann Talent besaß und er bewarb sich auf Anraten einer Grafikerin des Betriebs mit einigen seiner Arbeiten erfolgreich an der Dortmunder Werkkunstschule. Dort wurde er von 1960-1961 vom Maler Gustav Deppe unterrichtet und wechselte im Anschluss an die Düsseldorfer Kunstakademie, die zu dieser Zeit Zentrum der abstrakten Kunst war. Seine Lehrer waren zuerst Gerhard Hoehme und Joseph Fassbender, bei denen er eher unbefriedigende Studienversuche machte. Schließlich wechselte er zum Fach Bildhauerei und zum damals noch unbekannten Joseph Beuys. Dieser erkannte das Talent des jungen Malers und ließ ihm die Freiheiten, die er für seine Entwicklung brauchte. Norbert Tadeusz blieb seinem Lehrer Beuys treu, auch als er sich von den plastischen Arbeiten abwandte und zunächst mit Kreiden, dann mit Öl zu malen begann. Er besuchte die Düsseldorfer Kunstakademie von 1961-1966.
In dieser Zeit baute er zusammen mit Günter Uecker in Düsseldorf Karnevalswagen. 1968 arbeitete als Kellner im Szenelokal Creamcheese, während sein Freund Blinky Palermo an der Spültheke stand.
Als Maler war er schon bald nach seinem Studium erfolgreich. Bereits mit 27 Jahren hatte er seinen Stil gefunden. Seine Jahresproduktion waren 15 Frauenakte, die er zu Preisen zwischen 900 und 4300 DM verkaufte.
Dabei orientierte sich der junge Maler anfangs am Schweizer Symbolisten Giovanni Segantini und am Amerikaner Edward Hopper. Er hatte zwar nie Originale gesehen, aber die Malerei von Hopper faszinierte ihn. Er mochte den kühlen, giftfarbenen Realismus des Amerikaners und benutzte für seine Gemälde ähnliche Farben, um „ Allzu Gefälliges zu meiden. Denn er habe ein Händchen dafür, etwas schön zu machen.“ Meist malt Tadeusz vier oder fünf Farbschichten übereinander, bis „das Bild so unfreundlich wirkt wie bei Hopper“.

Gemälde Norbert Tadeusz (Ausschnitt) – Museumsinsel Hombroich

Bereits 1973 bis 1980 arbeitete Norbert Tadeusz als Dozent für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf, Abteilung Kunsterziehung in Münster und ab 1981 als Professor ebendort. 1983 hielt er sich in Florenz auf. 1988 hatte er eine Gastprofessur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe inne. Von 1988 bis 1991 war Tadeusz Professor an der Hochschule der Künste in Berlin und von 1991 bis 2003 Professor für Monumentalbildnerei an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. 1983 erhielt er den Villa-Romana-Preis.

Norbert Tadeusz gab sich gern als Ästhet, trug piekfeine Anzüge und legte den Boden seines Ateliers mit Filz aus. Das Atelier, auf der Himmelgeister Straße in Düsseldorf gelegen, – Tadeusz bezeichnete Düsseldorf gerne als Persil-Stadt – galt als das sauberste der Stadt. Hier entstanden beinahe alle seine Frauenakte. Er nutzte dabei die Schatten der Dachkonstruktion, um die Bildflächen zu strukturieren und mit Diagonalen zu durchziehen.
Der Maler gab sich gern spontan, aber der Schein trog.
„Ich mache nichts aus dem Bauch“, pflegte er zu sagen und erklärte die vielen Arbeitsschritte, die er bis zum fertigen Werk brauchte.
„Ich muss ein Motiv drei bis vier Jahre sehen“, sagte er. „Dann zeichne und fotografiere ich es und lege es ab. Oft brauche ich weitere anderthalb Jahre, bis ich zum Pinsel greife.“
Wenn er dann zu arbeiten begann, malte er mit kalten und warmen, strahlenden und dunklen Farbtönen. Er steuerte mit einem Blaurot gegen grüne Bereiche, er ging 20 bis 30 mal über die verschiedensten Stellen der Leinwand, ließ sie antrocknen und pinselte sofort wieder in die halb feuchte Masse hinein.
So entstanden bis zu Tadeusz Tod unzählige Gemälde und Zeichnungen mit immer wiederkehrenden Motiven. Schattenbilder mit Akten (meist Frauenakte), Schlachttieren, Pferden, Leitern, aber auch Landschaften, wie ein Panoramabild der Kohlköpfe des Düsseldorfer Kappes Hamm.

Text und Fotos: © Xenia Marita Riebe

Fotos: © Viktor Stricker

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