Das Blatt in der bildenden Kunst

Das Blatt, so wie die Natur es hervorgebracht hat, ist ein bewundernswertes Kleinod. Es ist in Form und Farbe mannigfach, von schlank bis rund, von gezackt bis glatt und von flach bis kugelig. Die Strucktur variiert nach den klimatischen Bedingungen, von zart bis ledrig, von weich bis rauh und von glatt bis stachelig. Die Farbe des Blattes ist grün, wobei es unendlich viele Nuancen gibt. Nimmt man die sich verändernde Farbigkeit, die in den gemäßigten Zonen durch den Wechsel der Jahreszeiten entstehen, dazu, kann ein Blatt alle Nuancen des Spectrums haben, außer der Farbe Blau. Bei sich verfärbenden Blätten können wir mit etwas Übung Fraktale erkennen, Formen, die im hohen Grade sich selbst ähnlich sind.

Menschen, die das Glück haben die Jahrezeiten zu erleben, kennen die Freude, wenn im Frühling die ersten Blätter sprießen und mit ihrem zarten Grün den Beginn des neuen Wachstums ankündigen. Mit dem frischen grün kommen die Erinnerungen an die erste Liebe, oder die Hoffnung auf eine neue Leidenschaft stellt sich ein. Wir sprechen von Frühlingsgefühlen und jeder weiß, was damit gemeint ist. Es ist das aufregende Gefühl das alles möglich ist. Wen wunderts da, dass Dichter an diese Jahreszeit, die mit dem zarten Blattwerk eng verbunden ist, so manche Ode geschrieben haben.

Das Blatt durchläuft im Wechsel der Jahreszeiten einen Ständigen Wandel. Von der Frische im Frühjahr zur satten Lebendigkeit im Sommer bis zur wunderbartsen Verfärbung im Herbst. Hier scheint das Blatt alles geben zu wollen um noch einmal alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bevor es welk und braun vom Ast fällt.

Das Blatt ist ein solches Wunderwerk, dass es sich als Motiv für bildende Künstlerer und Literaten geradezu anbietet. Desto erstaunlicher ist es, dass es in der Kunst doch eher seltener als Motiv zu finden ist. Doch gibt es Beispiele für das Blatt in der Literatur und der bildendnen Kunst. Beginnen möchte ich hier einem Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahr 1815.

Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt?

Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn:
Fühlst Du nicht an meinen Liedern,
Daß ich eins und doppelt bin?

Das Blatt war und ist in vielen Kulturen ein religiöses Symbol. Die Dattelpalme und der Palmwedel zählen zu den ältesten bekannten Pflanzensymbolen der Menschheit

Die (Dattel-)palme war bereits den Sumerern im Zweistromland das Zeichen des jährlich zu Neujahr begangenen Hochzeitsfestes der Götter. Palmen und Palmblätter finden sich auf sumerischen Stelen, Sigeln und Tempelruinen. Diese Symbolik wurde von den Assyrern übernommen die die Palme mit ihren Blattwedeln als Baum zur Palmette weiterentwickelten.

 

(Mädchen mit Palmblatt ; Palmette)

 

 

Antoni Gaudi ferigte für den Park Güel in Barcelona
ein schmiedeeisernes Tor aus lauter Palmblättern

Der Lorbeerkranz wurde schon in der Antike als Zeichen des militärischen Sieges oder des Ruhmes getragen und fand so auch Eingang in die bildende Kunst.

Auch in der römischen Mythologie spielte der Lorbeerkranz eine bedeutende Rolle. Im Kult um den Gott Jupiter war er Zeichen des Siegers, der lorbeerbekränzt (lat. laureatus) wurde.

Sandro Botticelli malte 1495 das Portrait des mit einem Lorbeerkranz gekrönten Dante Alighieri. Ein frühes Zeugnis der Verwendung des Blattes in der Malerei.

Das Feigenblatt diente der Legende nach Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies zur Bedeckung ihrer Blöße. Da im Mittelalters fast ausschließlich nach religiösen Motiven gemalt wurde, gibt es viele Varianten dieses Themas. So berühmte Maler wie Albrecht Dürer (Abb. ), Peter Paul Rubens, Michelangelo (sixtinische Kapelle), Lucas Cranch d. Ä., Hans Holbein und Hans Baldung nahmen sich des Themas an. Auch ein Wandgemälde aus dem 4. Jahrhundert, das in der Petrusund-Marcellinus-Katakombe in Rom gefunden wurde stellt Adam und Eva dar. Sie verdecken ihre Genitalien mit übergroßen Feigenblättern. Der unbekannte Urheber wollte wohl die Blöße der Beiden besonders gründlich verdecken.

Louise Bourgeois kreierte 2005 eine kleine weibliche Skulptur, die statt eines Kopfes ein Feigenblatt trägt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Künstlerin im Alter von 10 Jahren im Geschäft ihrer Mutter Feigenblätter über nackte Genitalien auf Tapisserien nähen musste.

Auch in vielen Wappen oder Flaggen wurden Blätter als Symbol verwendet. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die kanadische Flagge mit dem roten Ahornblatt auf weißem Grund.

In Indien ist es eine lang gepflegte Tradition Gemälde auf den Skelett getrockneter Blätter zu malen. Man benutzt dafür die Blätter des Peepal-Baums (Ficus religious) oder des Banayan-Baums (Ficus benghalensis), des National Baums Indiens. Beide Bäume gehören zur Gattung der Feigen (Ficus) und zur Familie der Maulbeergewächse und haben große ledrige Blätter auf deren Gerüst sich gut malen läßt. So entstehen zum Teil sehr schöne dekorative Gemälde, aber auch Arbeiten, die man der Kunst zurechnen kann.

Der Surrealist René Magritte stellte in dem Gemälde „Les compagnons de la peur“ von 1942 die Verbindung zwischen dem Lebendraum Baum und den darin lebenden Vögeln dar, in dem er die Vögel mit den Blättern verschmelzen läßt. In seinen Gemälden „La clairevoyance“, „“La belle saison“ und „Les princes de làutomne“ aus dem Jahr 1962/63 geht er sogar so weit, mit einzelnen Blättern Bäume darzustellen.

 

Der französische Maler Henri Matisse wählte für einige seiner Gemälde aus der Zeit des Fauvismus auffallend große, grüne Blätter als Hintergrund. Diese könnten sowohl eine Tappete als auch Bäume vor einem dunklen Himmel darstellen. Sehr schön zu sehen ist dies im Gemälde „la Musique“ aus dem Jahr 1939.

 

 

 

 

 

Als Henri Matisse im Alter beinahe erblindet war, kam er auf das Blatt zurück. Er fertigte unter anderem farbige Abstaktionen von Blättern in Form von Scherenschnitten, wie z.B. „Palmzweig blau“ und „Vegetal Elements“ von 1947

 

 

Das Blatt ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein natürliches Sujet Künstler über viele Epochen hinweg zu Werken inspirierte. So wird ein Gegenstand der natur, der uns alltäglich begegnet aus seinem kontext genommen zum zum Kunstgegenstand verändert. Auch in der gegenwartskunst treffen wir immer wieder auf das Blatt, sei es in der Fotografie, in der Videokunst oder in der Malerei.

Text: ©  Xenia Marita Riebe

 

 

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