Forschungserfolge bei der Kernfusion – die Lösung für den zukünftigen Energiebedarf?

nuclear fusion
Image courtesy of Lawrence Livermore National Laboratory

Das Lawrence Livermore National Laboratory (NLN) in Kalifornien gab bekannt, dass ein Meilenstein in der Kernfusionsforschung erreicht wurde.
Was ist dran an dem Hype um diesen Meilenstein der Forschung, welche realen Chancen bietet die Kernfusion als künftige ergiebige Energiequelle, wie sauber und ungefährlich ist ist diese Form der Energiegewinnung und wie sieht’s mit der technischen Realisierbarkeit aus, liegt hier gar eine Lösung für die Klimakrise?
Am NLN gelang die erste Kernfusion in einem Labor, bei der tatsächlich mehr Energie erzeugt wurde, als zum Starten der Reaktion nötig war. Dies löste in der Öffentlichkeit große Begeisterung aus, da Wissenschaftler seit Jahrzehnten davon sprechen, dass die Kernfusion, die Kernreaktion, die Sterne zum Leuchten bringt, in Zukunft eine ergiebige Energiequelle darstellen könnte.
“Dies ist ein wunderbares Beispiel für eine realisierte Möglichkeit, einen erreichten wissenschaftlichen Meilenstein und einen Weg in Richtung der Möglichkeiten für saubere Energie”, sagte Arati Prabhakar, der Wissenschaftsberater des Weißen Hauses, während einer Pressekonferenz am 6.12.2022 am Hauptsitz des Energieministeriums in Washington, D.C. “Und ein noch tieferes Verständnis der wissenschaftlichen Prinzipien, die hier angewandt werden.” Weiter hieß es,wenn die Kernfusion in großem Maßstab eingesetzt werden kann, wäre sie eine Energiequelle ohne die Umweltverschmutzung und die Treibhausgase, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen, und ohne die gefährlichen langlebigen radioaktiven Abfälle, die von den derzeitigen Kernkraftwerken erzeugt werden, die die Spaltung von Uran zur Energieerzeugung nutzen.

Was verbirgt sich hinter dem NIF am Lawrence Livermore National Laboratory (NLN) , an dem die Kernfusionsreaktionen durchgeführt wurden?

Das NLN ist eine Forschungseinrichtung in der Nähe von San Franscisco, die errichtet wurde, im Rahmen des nationalen Verteidigungsprogramms an der Planung und Entwicklung von Kernwaffen mitzuwirken. Das NIF (National Ignition Facility) ist Teil dieser Einrichtung, hier finden die eigentlichen Kernfusionsexperimente statt. Erklärtes Ziel: Prozesse zur Zündung einer thermonuklearen Fusion im Labor zu untersuchen, um damit unter-/oberirdische Kernwaffentests zu vermeiden. Dies macht deutlich, dass die zivile Nutzung der Fusionsenergie, z.B. für die Stromerzeugung hier keine Priorität hat  und bestenfalls als willkommener Nebeneffekt zur Imagepflege einer solch kostenintensiven Anlage genutzt wird.
Das beim NIF genutzte Verfahren ist nach Ansicht der meisten Experten kaum für die Realisierung von stromerzeugenden Fusionsreaktoren geeignet. Wie das NIF berichtete, hätten die Kernfusionen des Instituts im Dezember 2022 ca. 150 % der Energie ergeben, der dieser direkt über Laser zugeführt wurde (3,15 MJ Output / 2,05 MJ Input) Wird jedoch die indirekte Energieverwendung durch die genutzten Laser berücksichtigt, handelt es sich um rund ein Prozent (3,15 MJ Output / 322 MJ Input). Dieses Verfahren eignet sich offensichtlich nicht zur Stromerzeugung.

nuclear fusion
An illustration showing the process of nuclear fusion. Photo: Someone/Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

Was ist Kernfusion?
Bei der Kernfusion verschmelzen je zwei Atomkerne zu einem neuen Kern. Kernfusionsreaktionen sind die Ursache dafür, dass unsere Sonne und alle anderen Sterne Energie abstrahlen. Kerne können nur verschmelzen indem sie ihre sehr starke Abstoßungskraft überwinden, d.h. mit hoher Energie aufeinanderprallen. Dies wiederum verlangt Temperaturen von mehreren Millionen Grad bei der Proton – Proton -Reaktion, wie im Kern der Sonne. Diese p-p-Reaktion ist für eine technische thermonukleare Nutzung jedoch viel zu langsam und daher eignen sich nur die Ausgangsstoffe Deuterium und Tritium, also Isotope des Wasserstoffs für ein Fusion, und das bei weit höheren Temperaturen um die 150 Millionen Grad. Die Masse des enstehenden Heliums ist etwas geringer als die der ursprünglichen Wasserstoffatome. Durch Einsteins berühmte Gleichung E=mc² wird diese Massendifferenz in Energie umgewandelt. Es handelt sich dabei um die kinetische Energie des freigesetzten Neutrons (14,1MeV) und des Heliums im Plasma (3,5 MeV) Die Umsetzung von einem Gramm Deuterium-Tritium-Gemisch in einem Kernfusionsreaktor würde eine thermische Energie von rund 100 Megawattstunden (MWh) oder 12,3 t SKE liefern.

Was genau geschah am 6. Dezember um 1:03 am?
Zu exakt dieser Zeit beschossen 192 riesige Laser in der National Ignition Facility einen kleinen nur wenige Millimeter großen Zylinder aus Gold , der einen gefrorenen, von Diamant umhüllten Wasserstoffkern enthielt.
Die Laserstrahlen drangen oben und unten in den Zylinder ein und verdampften ihn. Dies erzeugte einen Röntgenstrahl, der ein Brennstoffpellet aus Deuterium und Tritium, komprimierte.
In einem kurzen Moment, der weniger als 100 Billionstel Sekunden dauerte, wurden 2,05 Megajoule Energie – das entspricht etwa 500g TNT – auf das Wasserstoffpellet geschossen. Es entstand eine Flut von Neutronen – das Produkt der Fusion – mit einer Energie von etwa 3 Megajoule, was einem Energiegewinn um den Faktor 1,5 entspricht.
Damit wurde die Schwelle überschritten, die von den Wissenschaftlern der Laserfusion als Zündung bezeichnet wird, d. h. die Grenze, an der die durch die Fusion erzeugte Energie der Energie der eintreffenden Laserstrahlung entspricht, die die Reaktion in Gang setzt.

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An artist’s rendering shows a NIF target pellet inside a hohlraum capsule with laser beams entering through openings on either end. Photo: US Department of Energy, Public domain via Wikimedia Common

Welche Chancen hat die im NIF entwickelte laserbasierte Technologie hinsichtlich der technischen Nutzung ?

Die Forschung konzentriert sich hauptsächlich auf Tokamaks und Stellaratoren. Diese Reaktorkonzepte beruhen auf der Technik des magnetischen Einschlusses. Wenige Gramm des Deuterium-Tritium-Gasgemisches werden in ein luftleeres, viele Kubikmeter großes, torusförmiges Behältnis eingebracht und auf 100 bis 150 Millionen Kelvin erhitzt. Bei diesen Temperaturen sind Elektronen und Atomkerne voneinander getrennt und bilden ein elektrisch leitendes Plasma. Um die torusförmige Plasmakammer sind supraleitende Elektromagnete angeordnet, die ein Magnetfeld von bis zu 10 Tesla Stärke erzeugen. Durch dieses Magnetfeld wird das Plasma in der Kammer so eingeschlossen, dass es die Wände nicht berührt. Bei einem Kontakt mit der Wand würde das Plasma sofort auskühlen und die Reaktion würde zusammenbrechen Die stark exotherme Kernreaktion erfolgt durch den Zusammenstoß der schnellen Atomkerne. Dabei werden energiereiche Neutronen freigesetzt. Die Neutronen geben ihre Energie im Blanket (Außenmantel) als Wärme ab, die zur Stromerzeugung genutzt werden soll.
Die wichtigsten europäischen Forschungsreaktoren sind die Tokamaks JET in Culham in Großbritannien und ASDEX Upgrade in Garching bei München sowie der Stellarator Wendelstein 7-X in Greifswald. Das zurzeit größte Projekt ist der internationale Forschungsreaktor ITER, ein Tokamak, der seit 2007 in Cadarache in Südfrankreich im Bau ist.
Die Arbeit am NIF verfolgt einen anderen Ansatz, aber bisher wurde nur wenig getan, um die Idee eines Laserfusionskraftwerks in die Realität umzusetzen. “Es gibt sehr große Hürden, nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Technologie”, sagte Dr. Budil vom NIF.
NIF ist der leistungsstärkste Laser der Welt, aber er ist langsam und ineffizient, da er auf jahrzehntealter Technologie basiert.
Das Gerät, das etwa die Größe eines Sportstadions hat, ist für grundlegende wissenschaftliche Experimente gedacht und nicht als Prototyp für die Erzeugung von Elektrizität. Im Durchschnitt werden etwa 10 Schüsse pro Woche abgegeben. Eine kommerzielle Anlage, die mit dem Laserfusionsverfahren arbeitet, bräuchte viel schnellere Laser, die mit einem Maschinengewehrtempo schießen könnten, vielleicht 10 Mal pro Sekunde. Außerdem verbraucht die NIF immer noch weit mehr Energie als durch die Fusionsreaktionen erzeugt wird.
Obwohl das jüngste Experiment im Vergleich zur Energie der 2,05 Megajoule in den eintreffenden Laserstrahlen einen Nettoenergiegewinn erbrachte, musste NIF 300 Megajoule Energie aus dem Stromnetz beziehen, um den kurzen Laserpuls zu erzeugen.
Andere Lasertypen sind effizienter, aber Experten sagen, dass ein brauchbares Laserfusionskraftwerk wahrscheinlich einen viel höheren Energiegewinn als die 1,5 Megajoule benötigt, die bei diesem letzten Fusionsimpuls beobachtet wurden.
Es heißt, Livermore werde die NIF-Fusionsexperimente weiterhin zu einer höheren Fusionsleistung antreiben.
Forscher an anderen Orten arbeiten an Variationen des NIF-Experiments. Andere Arten von Lasern mit anderen Wellenlängen könnten den Wasserstoff effizienter erhitzen.
Einige Forscher favorisieren einen “Direktantrieb” für die Laserfusion, bei dem das Laserlicht direkt zum Erhitzen des Wasserstoffs verwendet wird. Dadurch würde mehr Energie in den Wasserstoff gelangen, aber es könnten auch Instabilitäten entstehen, die die Fusionsreaktionen behindern.

Wie beurteilt man die Chancen für die praktische Nutzung der Kenfusion am NLN?
“Es wird jedoch noch eine ganze Weile dauern, bis die Kernfusion auf breiter Basis und in praktischem Maßstab zur Verfügung steht, wenn überhaupt. Wahrscheinlich Jahrzehnte”, sagte Kimberly S. Budil, die Direktorin von Lawrence Livermore, auf einer Pressekonferenz am 6. 12.22. “Nicht sechs Jahrzehnte, glaube ich. Ich glaube nicht, dass es fünf Jahrzehnte sind, wie wir früher sagten. Ich denke, es rückt in den Vordergrund, und wahrscheinlich könnten uns ein paar Jahrzehnte Forschung an den zugrunde liegenden Technologien mit konzertierten Anstrengungen und Investitionen in die Lage versetzen, ein Kraftwerk zu bauen.”

Sind Kernfusionsreaktoren wirklich die Lösung für künftige Energiegewinnung?

Nach meinen Recherchen in der Fachwelt überzeugen mich die kritischen Stimmen weitaus mehr als die der Befürworter. Ich möchte Daniel Jassby zitieren, der seit 25 Jahren in Princeton im Bereich Plasma Physik forscht:
“Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fusionsreaktoren mit einigen ganz besonderen Problemen konfrontiert sind:
das Fehlen eines natürlichen Brennstoffvorrats (Tritium)
und ein großer und nicht reduzierbarer Verlust an elektrischer Energie, der ausgeglichen werden muss.
Da 80 Prozent der Energie in jedem mit Deuterium und Tritium betriebenen Reaktor in Form von Neutronenströmen auftreten, ist es unausweichlich, dass solche Reaktoren viele der Nachteile von Spaltungsreaktoren aufweisen – einschließlich der Produktion großer Mengen radioaktiver Abfälle und schwerwiegender Strahlenschäden an Reaktorkomponenten.
Diese Probleme sind bei jeder Art von Fusionsreaktor, der mit Deuterium-Tritium betrieben wird, endemisch, so dass die Aufgabe von Tokamaks zugunsten eines anderen Einschlusskonzepts keine Abhilfe schaffen kann.
Wenn Reaktoren nur mit Deuterium-Brennstoff betrieben werden können, entfällt das Problem des Tritium-Nachschubs und die Schäden durch Neutronenstrahlung werden gemildert. Die anderen Nachteile bleiben jedoch bestehen – und Reaktoren, die nur mit Deuterium-Brennstoff betrieben werden, haben ein stark erhöhtes Potenzial zur Verbreitung von Kernwaffen.
Diese Hindernisse – zusammen mit dem kolossalen Kapitalaufwand und einigen weiteren Nachteilen, die sie mit den Spaltungsreaktoren teilen – werden dazu führen, dass Fusionsreaktoren schwieriger zu bauen und zu betreiben sind als alle anderen Arten von Stromerzeugern.
Die harten Realitäten der Kernfusion widerlegen die Behauptungen ihrer Befürworter von “unbegrenzter, sauberer, sicherer und billiger Energie”. Die terrestrische Fusionsenergie ist nicht die ideale Energiequelle, die von ihren Befürwortern angepriesen wird, ganz im Gegenteil: Sie ist etwas, das man meiden sollte”.
Daniel Jassby, Fusion reactors: Not what they’re cracked up to be

Fazit
Die heutigen Konzepte für die Entwicklung von Kernfusionsreaktoren, die unbegrenzte, saubere, sichere und auch noch billige elektrische Energie liefern, sind im Wesentlichen untauglich. Der einzige Kernfusionsreaktor, der all diese Bedingungen schon heute erfüllt, ist die Sonne. Als die größte Energiequelle liefert die Sonne pro Jahr eine Energiemenge von etwa 1,5 · 10ex18  kWh auf die Erdoberfläche. Diese Energiemenge entspricht mehr als dem 10.000fachen des Weltenergiebedarfs der Menschheit .
♦Sonnenenergienutzung
setzt keine Luftschadstoffe frei, wie z. B. Feinstaub
♦Sonnenenergienutzung
setzt vergleichsweise geringe Treibhausgase frei und ist damit klimaschonend
♦Sonnenenergienutzung
erspart Importe fossiler oder nuklearer Brennstoffe und reduziert damit die Abhängigkeit von Exportstaaten
♦Sonnenenergie ist praktisch unbegrenzt verfügbar und kann so auch steigende Energiebedarfe abdecken ohne dass Erschöpfung der Vorräte an Energieträgern droht
♦Sonnenenergie kommt ohne Brennstoffkosten aus und bietet damit nach Preisverfall der Erzeugungstechnologien inzwischen häufig niedrigere Gestehungskosten als Alternativen.
“Während wir Jahrzehnt nach Jahrzehnt an der Entwicklung eines unglaublich teuren Fusionsreaktors gearbeitet haben, sind wir bereits mit einem gesegnet, der einwandfrei funktioniert und für uns alle kostenlos ist: Die Sonne“
– Hans-Joachim Schellnhuber –
Der Physiker und Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber ist einer der Begründer und Vordenker der interdisziplinären Klima- und Klimafolgenforschung Seit 1991 Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung

Daher, anstatt riesige Summen in die Entwicklung von Kernfusionsreaktoren zu investieren, sollte die Entwicklung zu einer effizienten Nutzung der Sonnenenergie mit allen Mitteln vorangetrieben werden. Nur so kann – im Verbund mit anderen eneuerbaren Energien wie Wind, Wasserkraft, Biomasse, Geothermie – die drohende Klimakatastrophe vielleicht noch abgewendet werden.

Bernd Riebe, Dez.2022

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