Sturm in der Drake Passage

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An einem schönen warmen Januartag – es war Sommer auf der Südhalbkugel – landete ich in Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt. Das eigentliche Ziel meiner Reise lag aber noch etwa 1000km weiter südlich auf der Antarktischen Halbinsel. Ich durfteauf einem Versorgungsschiff mitfahren, das verschiedene Forschungsstationen ansteuerte. Das Schiff war die „Professor Multanovskiy“, ein in die Jahre gekommenes russisches eisfestes Vehikel von nur 1700BRT mit max 7kn Fahrt. Die Besatzung bestand ausschließlich aus Russen, von der nur der Kapitän ein paar Worte Englisch sprach. In einem kleinen Apartemento in der Nähe des Hafens von Ushuaia warteten Roger, ein Biologe der BAS und ich ungeduldig ca eine Woche auf die Ankunft des „Professors“. Hier gab es also genügend Zeit, die bevorstehende Schiffsreise zu diskutieren. Roger hatte diese Fahrt schon mehrere Male gemacht und konnte mich so schon etwas einstimmen. Neben der fantastischen Szenerie Antarktikas mit spektakulären Eisbergen, gewaltigen Gebirgsformationen, dem Schelfeis sowie riesigen Pinguinkolonien, Walen, Seehunden und vielem mehr, wies er immer wieder auf die große Hürde hin, die es zu überwinden galt, bevor man in den Genuss all dieser sehenswerten Dinge kam. Das zu überwindende Hindernis ist die Drake Passage, die 1000km breite Meeresstraße zwischen dem Kap Horn und der Antarktischen Halbinsel. Es ist dies die stürmischste Meeresregion der Erde. Hier folgt in kurzen Abständen ein Sturmtief nach dem anderen, die heftigen Westwinde können hier ungehindert den ganzen Erdball umrunden und türmen dabei riesige Wellenberge auf. Von Seefahrern waren diese Breiten seit jeher gefürchtet, The Roaring Forties – The Roaring Fifties -werden sie noch heute genannt und nun sogar sollten wir den 60. Breitengrad überqueren.

Rogers Bedenken kamen mir zunächst etwas übertrieben vor, hatte ich doch einige Segelerfahrung und schon manchen Sturm abgewettert. Als ich dann aber endlich an Bord der „Multanovskiy“ gehen konnte, war ich nicht mehr zu zuversichtlich, ob diese wirklich neben eisfest auch orkanfest sein würde. Sowohl die Besatzung als auch der Zustand des Schiffs ließen nichts Gutes ahnen. Ich muss noch erwähnen, dass mich Naturgewalten immer schon interessiert haben, insbesondere sturmgepeitschte Meere haben eine besondere Faszination für mich. Ich hatte insgeheim schon auf eine stürmische Überfahrt gehofft und war bereit für einige gute Videoaufnahmen, wenn möglich von der Brücke. Aber wie sooft bei meinen Reisen, es kam alles anders als erwartet.

Wir legten ab, begleitet von einer frischen Brise, „segelten“ den Beagle Kanal hinunter, passierten Kap Horn um Mitternacht hinaus in die gefürchtet Drake Passage. Am nächsten Morgen an Deck bot sich mir ein überraschendes Bild. Abgesehen von einer leichten Dünung schaute ich auf eine spiegelglatte See! Der leicht achterliche Wind „blies“ mit vielleicht 2 Bft bei Sonnenschein und ich glaubte mich sofort in die Ägäis oder in die sommerliche Adria versetzt. Etwas entäuscht äußerte ich mich Roger gegenüber mit einem „so what?“ und konnte so gar nicht dessen Erleichterung teilen. Nun, dachte ich, es bleiben ja noch fast zwei Tage, und Stürme entwickeln sich in diesen Breiten sehr schnell. Aber nichts dergleichen, wir überquerten den 60. Breitengrad, sichteten die ersten Eisberge, Pinguine begleiteten unseren „Professor“ – und ringsum eine ruhige, friedliche See. Roger tröstete mich und murmelte was von „return trip – wait and see“ oder Ähnliches.

Die vielen einmaligen Erlebnisse auf der Terra Incognita ließen mich die Rückreise bald vergessen, bis ich am letzten Tag vor Anker in Nähe der Insel Half Moon Island auf der Brücke einenBlick auf die aktuelle Wetterkarte werfen konnte. Dort war unschwer zu erkennen, das ein von West heranrauschendes Sturmtief mit hoher Sicherheit unseren Kurs kreuzen musste. Als dann der Kapitän etwas wie „no good, no good!“ murmelte, war mir klar, dass meine Erwartungen nun erfüllt würden. Ich muss im Nachinein sagen, sie wurden weit übertroffen, wobei mir bewusst war, dass ich mit dieser Haltung so ziemlich allein dastand und als die ersten Brecher über den Bug gingen ich mir schon gar nicht mehr so sicher war, ob ich diesen Sturm nun wirklich erleben wollte. Nach etwa zwei Stunden auf nördlichem Kurs zeigten die Geräte auf der Brücke einen nordwestlichen Wind mit 13m/s also etwa Windstärke 6. schon bauten sich beachtliche Wellen auf, die uns von Backbord anliefen. Das abendliche Essen war dann auch für die meisten Passagiere die letzte Nahrung, die sie für die nächsten zwei Tage aufnehmen konnten. Die Decks wurden bald darauf für Passagiere gesperrt, doch genoss ich das Privileg, mich auf der Brücke aufhalten zu dürfen. Hier verbrachte ich dann auch die meiste Zeit, um Filmaufnahmen zu machen und dies schien mir auch ein geeigneter Ort zu sein, das stürmische Geschehen ringsum, eindrucksvoll wahrzunehmen. Gegen Mitternacht zeigte der Windmesser schon über 20m/s an, also fast 9 Windstärken aus NNW mit Wellenhöhen von über 7m.

Das Rollen und Stampfen unseres Schiffs war nun sehr deutlich und immer Passagiere verschwanden in ihren Kabinen. Die wenigen Menschen, die sich auf dem Schiff bewegten, konnten dies nur mühsam tun, immer bestrebt, nur ja das Gleichgewicht zu halten. Die ersten Anzeichen von Seekrankheit, die auch ich verspürte, verschwanden bald wieder, wahrscheinlich auch deshalb, weil ich ununterbrochen damit beschäftigt war, Filmaufnahmen zu machen. Ich vergaß einfach alles um mich herum und konzentrierte mich nur auf Perspektive, Beleuchtung, Kamera-Position und Ähnliches. Nach Mitternacht dann gab mir der Kapitän zu verstehen, dass ich doch besser die Brücke verlassen sollte, der Sturm verlangte die volle Konzentration der Mannschaft und außerdem sei es zu gefährlich bei einem solch schlingernden Schiff hier oben mit der Kamera zu hantieren. Mein letzter Blick galt dem Windmesser: 23m/s oder Bft 9! Mühsam balancierend und immer einen Halt suchend erreichte ich meine Kajüte. Die gekrümmte Gestalt auf der unteren Koje – offensichtlich mein Mitbewohner Roger- war nicht anzusprechen und durch das Bullauge waren keine brauchbaren Aufnahmen zu erwarten. Noch in der Kajüte stehend legte das Schiff sich gewaltig über, ich schätzte so etwa auf 40° und ich sah wie die Kojenvorhänge in ähnlichem Winkel sich hoben und zudem alle Utensilien vom Klapptisch „gezogen“ wurden. Dies konnte ich immerhin mit der Kamera einfangen. Danach schlug ich mich zur Kombüse durch, wo ich mit einem österreichischen Koch angefreundet hatte und der ja nun keinerlei Beschäftigung mehr hatte, dachte doch niemand an Essen. Der Blick durchs Bullauge seiner Kombüse war bestens geeignet, die tosenden Wasser mit der Kamera einzufangen. Auch akustisch war dies ein Genuss, da reihenweise ganze Stapel von Tellern und Tassen in irgendwelchen Schränken umherpurzelten. Hier verbrachte ich in angeregter Unterhaltung mit dem zwangsweise untätigen Chef den Rest der Nacht und auch noch den nächsten Vormittag. Ich muss noch erwähnnen, das es auch während der Nachtstunden in diesen Breiten im Sommer nicht wirklich dunkel wird und so also immer „Außenaufnahmen“ möglich sind. Der Sturm ließ erst am Abend nach, allerdings rollten noch immer gewaltige Brecher heran, die unseren „Professor“ nicht zur Ruhe kommen ließen. Erst kurz vor Kap Horn sah man wieder aufrecht gehende Menschen an Bord, die so langsam auch wieder feste Nahrung zu sich nehmen konnten.

Selbst für unseren erfahrenen Kapitän war dieser Sturm eine Herausforderung wie er uns anschließend bei einem Glas Wodka erzählte. Er hätte nur immer gehofft, dass Ruder und Maschine nicht versagten. Die höchste Wellen schätzte er auf 14m.

Die Drake Passage hatte mir nun doch noch das fast erwartete Erlebnis beschert, die stürmische Durchquerung dieser Meeresstraße. Etwas, was nicht einmal der Namensgeber, der englische Seefahrer Sir Francis Drake erfahren hatte. Dieser hat die Passage nie durchfahren, sein Schiff war lediglich nach der Passage der Magellan-Straße einige Meilen südwärts abgetrieben worden. Dies machte ihn zumindest im englischen Sprachraum zum Entdecker dieser Region.

„Storm in the Drake Passage“ ist dann auch der Titel meines Videos, das einige Szenen meiner Reise zeigt. Dies ist eine neue Version, das Original-Video, vor Jahren auf YouTube veröffentlicht hatte über 2,5 Millionen Views und war auch sonst ein Glückstreffer. Ich bekam viele Anfragen von Fernsehanstalten- und Filmproduktionsgesellschaften aus der ganzen Welt. Sie waren interessiert an diesem besonderen Footage, also Filmsequenzen, um diese in ihren Produktionen zu benutzen.

Promotion Video – Primera, Fernsehproduktion Dresden

Meist waren es nur 10s Sequenzen, die sie mir zur einmaligen Nutzung abkauften. So kam es, dass „meine Wellen“ erschienen in US Action-Filmen, in englischen Soaps, in einer holländischen Fernsehproduktion über Stürme an der Nordseeküste(!) und in mehreren Werbe-Clips. Ein amerikanischer Weltumsegler „lieh“ sich meine Szenen aus für seine Vorträge und vieles mehr. Ich habe heute schon keine Übersicht mehr, wo überall diese Szenen gezeigt und benutzt wurden und immer noch werden

So bleiben vom „Sturm in der Drake Passage“ neben den immer noch lebendigen Erinnerungen auch noch unzählige wenn auch meist kuriose Dokumente.

©Bernd Riebe

2 Kommentare zu „Sturm in der Drake Passage

  1. Hallo Meisterfotograf,

    falls Sie die Gegend mit den höchsten Windgeschwindigkeiten an Land und Küste im Süden von Südamerika kennen oder noch kennenlernen, könnten Sie Standorte für Windkraftanlagen mit senkrechter Drehachse vorschlagen. Diese neuartigen Windkraftanlagen können bei Sturm erst richtig aufdrehen, wenn übliche Windräder in ihrer Leistung herunter gedrosselt werden oder umkippen.
    Für das Herunterregeln bei Sturm gibt es in einem Buch über Windkraftanlagen von einem Professor aus Kassel ein Beispiel über eine Windkraftanlage an der deutschen Ostseeküste, die bei einem Sturm an Weihnachten vor einigen Jahren ein einem Tag so viel elektrische Leistung gebracht hätte – hätte nicht hatte – wie die Windkraftanlage in einer Woche bei normalem Wind, wenn diese Windkraftanlage nicht gedrosselt wäre, um ihre Zerstörung zu verhindern. Es wird zwar behauptet, neue Windkraftanlagen könnten bis Sturm betrieben werden, aber ich vermute, dass dabei verschwiegen wird, dass das Windrad nur so viel Windenergie in elektrische Energie umwandelt wie bei normalem Wind unterhalb der Sturmwindstärke, damit der Turm nicht umkippt – was ja passiert ist – oder die Rotorblätter zerstört werden. Die Windkraftanlagen mit senkrechter Drehachse können so stabil gebaut werden – auch bei Kap Horn usw. – , dass sie auch bei starkem Sturm laufen. Die ideale Gegend dafür wäre also die Südspitze von Südamerika, da könnte Wasserstoff erzeugt werden, wie man es sich heute noch gar nicht vorstellen kann.

    Mit freundlichen Grüßen
    Manfred Fritz Voss

    • Interessanter Hinweis. Nur haben sich bislang große Windanlagen mit Vertikalachse nicht bewährt. Die Schweizer Firma Agile Wind Power hat nun ein vielversprechendes Konzept entwickelt mit einer Echtzeit Rororblatt Pitch Steuerung. Ein Prototyp mit 750KW und 105m Höhe kann auf dem Windtestfeld Grevenbroich bewundert werden. Ob dies Vorteile gegenüber Horizontalanlagen bringt, bleibt abzuwarten. Ich bin da skeptisch.

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