Mit dem Rucksack nach Marokko Teil III

 

Ohne Geld in der Medina von Fes – ohne Gepäck in Bilbao – ohne Parkticket in San Sebastian

Mit der Fähre kamen mein Mann Bernd und ich von Algeciras kommend in Tanger, Marokko an. Über diese Hafenstadt an der Straße von Gibraltar gibt es nicht viel zu erzählen. Wir verbrachten dort nur einen halben Tag und eine Nacht in einem recht unschönen Hotel. Was ich erinnere sind ein großer Stadtstrand, auf dem Kamele herumliefen, aufdringliche Männer, die mir unmissverständliche Zeichen machten, obwohl Bernd mich begleitete und ein miserables Essen in einem überfüllten Restaurant.
Am nächsten Morgen gingen wir mit unseren Rucksäcken bepackt zum Bahnhof und stiegen in einen Zug, der uns zur Königsstadt Fes bringen sollte. Wir waren sehr überrascht, den Zug in tadellosem Zustand vorzufinden. Er hatte nicht nur bequeme gepolsterte Sitze, sondern auch air condition. Welch unerwarteter Luxus! Der Zug war auch für europäische Verhältnisse vergleichsweise leer und wir hatten ein Abteil für uns. Aus dem Fenster konnten wir viele ärmliche Dörfer sehen, kleine Jungen, die auf Eseln neben dem Zug herritten und eine Reihe von großen Nomadenzelten. An jeder Bahnstation – kleine Meiler an der Strecke, wo kaum ein Haus zu sehen war – kamen Händler an die Zugtüren und boten Selbstgebackenes, Obst oder Datteln und Feigen an.
Nach etwa der Hälfte der Strecke kam ein junger Mann in unser Abteil und fragte höflich in bestem Englisch, ob er sich zu uns setzten dürfe. Er stellte sich als Mahmoud vor und war Student der Physik. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er sehr gebildet und aus gutem Haus war. Er fragte uns, ob wir in Fes auch die Medina besuchen wollten und bot sich uns für kleines Geld als Guide an. Diese Hilfe nahmen wir gerne an, denn wir hatten schon gehört, dass es sehr schwierig ist, sich in de Medina von Fes allein zurechtzufinden. Die Gassen der Souks sind alle mit Netzen überspannt, an denen allerlei Waren hängen oder die mit der Zeit von oben verschmutzten. So hat man keine Möglichkeit sich mit Hilfe der Himmelsrichtung oder dem Sonnenstand zu orientieren. Straßennamen gibt es dort nicht und Mahmoud, der in der Medina geboren wurde, erzählte, dass es Jahre dauert, ehe sich ein Kind in dem Gewirr aus Gassen soweit auskennt, dass es allein das Elternhaus verlassen darf und sei es auch nur für einen Besuch bei einem Freund.
Wir verabredeten mit Mahmoud einen Termin für den übernächsten Tag. Er wollte uns in unserem Hotel abholen. Wir übernachteten im Moussafir Hotel, sehr gepflegt mit dem Flair aus 1001 Nacht. Unser Zimmer und der Service waren gut und wir fühlten uns recht wohl. Den ersten Tag verbrachten wir mit Erkundungen auf eigene Faust, schauten nach einer Bank, einem Supermarkt usw. Ein Highlight unseres Aufenthaltes in Fes sollte aber der Besuch in der berühmten Medina sein. Und tatsächlich holte Mahmoud uns wie verabredet in der Lobby des Hotels ab. Er warnte Bernd davor, zu viel Geld mit in die Medina zu nehmen, machte aber auch deutlich, dass es dort keine Bankautomaten gibt.
„Die Kreditkarte ist in der Medina das beste Zahlungsmittel sagte er. Es macht nicht viel Sinn, sie zu stehlen und sie wird von allen Händlern akzeptiert.“
Ich verließ mich ganz auf Bernd.
Kaum in der Medina angekommen, sah ich bei einem Händler eine wunderschöne Halskette aus orangen Halbedelsteinen. Sie gefiel mir so gut, dass ich sie anprobierte. Als ich sah, wie gut sie mir stand, bat ich Bernd, sie für mich zu kaufen. Doch er erklärte mir, dass er weder Geld noch eine Kreditkarte bei sich habe. Ich glaubte, nicht richtig zu verstehen. Mein Mann war also mit mir in die Medina gegangen, mit der erklärten Absicht nichts zu kaufen! Das machte mich ärgerlich, denn ich wollte Geschenke für meine Kinder mitnehmen. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, eine Aladinhose zu erstehen, die ich zu Hause zu einem ungewöhnlichen Rock umarbeiten wollte. Ich drang darauf, ins Hotel zurückzufahren und die Kreditkarte zu holen. Doch der Händler machte einen anderen Vorschlag. Er bat mich, die Kette einfach mitzunehmen. Er würde dann am Abend in unser Hotel kommen und das Geld dafür abholen. Wir wollten das auf keinen Fall, aber Mahmoud meinte, wir könnten das Angebot ohne Weiteres annehmen. Ich hatte ein wenig Sorge, dass der Händler uns später des Diebstahls bezichtigen könne und so den Preis für die Kette in die Höhe treiben könne. Auch sah ich uns bereits in einem marokkanischen Gefängnis schmoren. Doch Mahmoud zerstreute meine Bedenken und ich nahm die Kette an mich. Wir gingen weiter durch die Medina und betrachteten alle die bezaubernden Gebrauchsgegenstände, den Schmuck, das Leder und das Kunsthandwerk, aber auch fremde Lebensmittel und Gewürze. In einer kleinen Straßenbar tranken wir starken Mokka, den Bernd zum Glück bezahlen konnte. Wenig später kaufte ich ein Sitzkissen aus Leder und kurz darauf eine Aladinhose. Auch hier konnte ich die Ware mitnehmen, ohne zu bezahlen. Wir wurden nicht einmal nach unserem Hotel gefragt. Eine Geschichte, wie aus dem Märchen. Ich konnte nehmen, was ich wollte und niemand schien sich Sorgen um sein Geld zu machen.
Wir besichtigten auch eine Gerberei, die mittelalterlicher nicht hätte sein können. Hier standen Männer in gemauerten Becken bis zur Brust in übelriechenden Substanzen und bearbeiteten darin Felle und Leder. Der Gestank war beinahe nicht auszuhalten, der Anblick aber so fremdartig, dass wir doch eine Zeit verweilten und den Leuten bei der Arbeit zusahen.

Kurz darauf aß ich an einem Stand eine Dattel, in der eine längliche Nuss steckte. Sie schmeckte so köstlich, dass ich gleich eine ganze Tüte davon kaufte und diese unterwegs beinahe leer aß. Das sollte ich noch bereuen.
Als wir gegen Abend nach einem wundervollen Tag die Medina verließen, war ich schwer bepackt mit allen möglichen Packen und Rollen. Um 18 Uhr wollten die Händler zur Abrechnung in unser Hotel kommen. Und tatsächlich standen um diese Zeit etliche Gläubiger in der Lobby. Sie hatten alle ein Maschinchen dabei, mit dessen Hilfe sie die Details unserer Kreditkarte abpausten. Bernd musste dann nur noch unterschreiben. Sie stellten sich schön ordentlich in eine Schlange und warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren. Bernd hatte alle Hände voll zu tun. Er kontrollierte Rechnungen und Belege und unterschrieb viele Male. Sein Plan war nicht aufgegangen!
In der Nacht ereilte mich dann Strafe für meine Schadenfreude. Ich bekam schlimme Bauchschmerzen und kurz darauf Brechdurchfall. Als alles meinen Körper verlassen hatte, ging es mir wieder besser. Ich war sicher, dass ich die Datteln nicht vertragen hatte.

Am Tag darauf reisten wir weiter nach Marrakesch, aber vom berühmten Gauklerplatz, den ich so gerne besuchen wollte, sah ich nicht sehr viel. Mein Brechdurchfall kehrte zurück und wurde so schlimm, dass wir kurzentschlossen zurück nach Tanger reisten und dort die nächstbeste Fähre nach Spanien nahmen.
In Malaga nahmen wir ein Hotelzimmer. Mir ging es immer schlechter und als ich morgens beim Duschen in Ohnmacht fiel, ging Bernd in die Apotheke und kaufte Medikamente für mich. Zwei Tage harrten wir in Malaga aus, aber ich war immer noch viel zu schwach, um die weite Zugreise nach San Sebastian anzutreten, wo unser Auto in der Tiefgarage des Tryp San Sebastian Orly Hotel auf uns wartete. Bernd entschloss sich, Luis anzurufen und zu fragen, ob ich mich bei ihm in Marbella für ein paar Tage erholen könnte. Für Luis und Doris war das kein Problem. Sie holten uns mit dem Auto ab und quartierten uns wieder in der schönen Villa ein. Mir war das alles schrecklich unangenehm, denn ich wollte ihre Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. Nach drei weiteren Tagen ging es mir wieder so gut, dass ich eine Reise wagen konnte. Allerdings war an die lange Zugfahrt immer noch nicht zu denken. So buchte Bernd einen Inlandsflug bei Iberia Airlines und Luis brachte uns zum Flughafen nach Malaga. Wir verabschiedeten uns herzlich bei unserem Freund und dankten ihm für seine großzügige Hilfe.
Unser Flug ging nach Bilbao. Als wir dort ankamen mussten wir nach langer Wartezeit am Gepäckband leider feststellen, dass unser Gepäck nicht angekommen war. Mir ging es sehr schlecht.
Es war Samstagabend und die Angestellte der Airlines sagte, dass wir am Montag zum Flughafen kommen sollten. Dann könne sie nachforschen, wo unsere Rucksäcke geblieben seien. Dass ich nicht weinte, war allein meiner Schwäche geschuldet. Wir waren also ohne Gepäck in Bilbao gestrandet. Wir hatten kein Hotelzimmer und auch keine Freunde, die uns weiterhelfen konnten. Internet gab es nicht. Ein Plakat im Flughafen bewarb das Hotel Carlton, ein 5 Sterne Haus in der Innenstadt von Bilbao. Bernd beschloss, dort hinzufahren, denn in teuren Hotels bekommt man immer leicht ein Zimmer. Wir stiegen also in ein Taxi und ließen uns für viel Geld dorthin fahren. Bernds Gedanke war richtig gewesen. Wir bekamen ein Zimmer, das allerdings sündhaft teuer war. Der Rezeptionist wunderte sich nur, dass wir ohne Gepäck anreisten. Auch unsere leichte Sommerkleidung war unangebracht. In Bilbao regnete es und die Temperatur lag um 12 °.
Da saßen wir also in unserem Luxushotel und konnten das Zimmer nicht verlassen, denn mir ging es sehr schlecht und Bernd fühlte sich auch nicht gut. Wir hatten keine Zahnbürsten. Ich hatte nichts zum Abschminken und keine Gesichtscreme. Ich fühlte mich schrecklich. So fielen wir ungewaschen und mit schmutzigen Zähnen ins Bett. Ich hatte einen schrecklich sauren Geschmack im Mund, denn ich hatte mich wieder übergeben. Was hätte ich für eine Zahnbürste gegeben!
Am nächsten Morgen, es war Sonntag, erwachte ich und fühlte mich etwas besser. Bernd traf auf dem Flur ein Zimmermädchen und bekam zwei Einmalzahnbürsten von ihr. Als ich beim Zähneputzen mein Gesicht im Spiegel sah, erschrak ich sehr. Ich war unter der Sommerbräune weiß wie die Wand und hatte schwarze Ränder unter den Augen, die nicht nur von der nicht entfernten Wimperntusche kamen. Ich brauchte Gesichtspflegecreme, um damit die Schminke zu entfernen und meine Haut zu cremen. Ich machte mich auf, um eine geöffnete Apotheke zu suchen. In meinem kurzen engen Rock und dem zerknitterten T-Shirt – ich hatte darin geschlafen – schlich ich durch die sonntäglichen Straßen von Bilbao. Ich fror erbärmlich und fühlte mich wie eine ausgemusterte Prostituierte. Eine Apotheke fand ich nicht.
So blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit der Hotelseife zu waschen und danach die ausgetrocknete Haut in Kauf zu nehmen. Was ich hasse.
Den Sonntag verbrachten wir im Zimmer und am Montag fuhren wir wieder mit dem Taxi zurück zum Flughafen. Dort überreichte man uns ohne jede Entschuldigung unsere Rucksäcke. Ein anderes Taxi brachte uns zurück ins Hotel. Das Geld für diese drei Taxifahrten hätten wir gerne anders ausgegeben. Endlich konnten wir uns gründlich pflegen und umziehen. Wir mieteten ein Auto für die Fahrt nach San Sebastian und schafften es sogar noch, das Guggenheim Museum zu besuchen.
In San Sebastian gingen wir wieder in das Tryp San Sebastian Orly Hotel. Unser Astra stand noch brav in der Tiefgarage. Wir übernachteten noch einmal dort und reisten am nächsten Morgen ab in Richtung Frankreich. Als wir in die Tiefgarage kamen, nahmen wir zum ersten Mal den Parkautomaten wahr und uns dämmerte es, dass wir bei der Einfahrt ein Parkticket gezogen hatten. Das war nun gut 4 Wochen her. Am Automat fanden wir ein Schild mit den Parkgebühren. Bei einer Übernachtung im Hotel, war das Parken kostenlos. Ohne Übernachtung kostete es allerdings 12,- € pro Tag. In unserem Fall machte das 360,-€. Das war uns nach alldem, was wir in Spanien erlebt und bezahlt hatten, einfach zu viel. Wir überlegten, wie wir es schaffen könnten, ohne Bezahlung aus der Garage zu kommen. Wir hatten einen Plan. Wir fuhren zu dem Aufsichtshäuschen an der Schranke. Dort stieg ich aus und erklärte dem Parkhauswächter, dass wir unser Parkticket verloren hätten, was ja auch stimmte. Was ich ihm nicht sagte, war, dass der Astra schon seit Wochen in der Tiefgarage stand. Ich zeigte lediglich unsere Rechnung für die Hotelübernachtung der letzten Nacht vor und bat ihn, ausnahmsweise die Schranke ohne bezahltes Ticket für uns zu öffnen. Dabei lächelte ich ihn vielsagend an. Und tatsächlich ließ er sich darauf ein. Er öffnete die Schranke und ließ Bernd durch, der auch sofort die recht steile Ausfahrt hinauffuhr. Ich bedankte mich schnell und lief hinter dem Auto her, querfeldein durch eine schöne Parkanlage und sprang auf der Straße auf den Beifahrersitz zurück. Wir hatten es nun sehr eilig, San Sebastian zu verlassen, denn wir rechneten damit, dass unser Trick aufgefallen war. Erst als wir auf der Autobahn waren, beruhigten wir uns wieder.

Unsere Rückreise durch Frankreich und Belgien wurde sehr unangenehm, denn mein Durchfall kam zurück und ich hatte auch Bernd inzwischen angesteckt.
Unsere Rucksackreise nach Marokko endete also nicht ganz so fröhlich. Aber trotzdem gibt es sehr viele schöne und aufregende Momente, an die wir uns gerne erinnern.

Text und Fotos: © Xenia Marita Riebe

Mit dem Rucksack nach Marokko – Teil 2

Mit dem Rucksack nach Marokko – Teil 1

“World Press” Blatt 119 –  Tunesia –  © Xenia Marita Riebe

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