Mit dem Rucksack nach Marokko Teil II
Joggen in Ronda – Bei Luis in Marbella
Wir – für die Neueinsteiger, mein Mann Bernd und ich – verließen San Sebastian mit einem Zug, der aus der Grenzstadt Irun kam und nach Algeciras fuhr. Unser Ziel war vorerst Ronda in Andalusien, das 743 Meter über dem Meeresspiegel in der Serrania de Ronda, einer schönen Berglandschaft liegt. Vor uns lag eine Fahrtzeit von 19 Stunden und 18 Minuten. Für die Nacht hatten wir zwei Plätze in einem Liegewagen gebucht, in den wir in San Sebastian auch gleich einstiegen. Ein Schaffner kam und verlangte unsere Reisepässe, die er angeblich brauchte, um unsere Buchung für die Liegeplätze zu kontrollieren. Er verschwand damit und wir sahen ihn nicht mehr wieder.
Noch waren die Klappliegen in dem Abteil nicht aufgebaut und es saß sich dort, wie in einem ganz normalen Zug. Ein Gepäcknetz gab es allerdings nicht, und so wuchteten wir unsere schweren Reiserucksäcke erst einmal in das Abteil und schoben sie dann unter die Sitze. Dort lagen und standen schon eine Menge anderer Gepäckstücke, denn der Zug war voll mit marokkanischen Gastarbeitern und ihren Familien, die jetzt, im Sommer, für ein paar Wochen in die Heimat fuhren. Es herrschte ein wildes Durcheinander. Reißverschlüsse von Plastikkoffern wurden geöffnet und wieder verschlossen, nachdem allerlei Merkwürdiges zum Vorschein gekommen war. Männer zogen ihre Pantoffel an, Kinder wurden gewickelt oder bekamen einen Klaps, der sie laut aufschreien ließ und Frauen palaverten lauthals von einem Abteil zum anderen mit ihren Geschlechtsgenossinnen. Es wurde gegessen, gerülpst, getrunken und geschlafen. Männer spielten auf dem Gang auf ihren Koffern sitzend Karten oder lehnten aus den weit geöffneten Fenstern. Lärm, Staub und Hitze kamen von draußen herein, streiften kurz durch den Wagon und verließen uns wieder durch ein anderes geöffnetes Fenster. Zum Glück hatten wir Rotwein!
In Madrid hatten wir einen langen Aufenthalt, den wir nutzten, um uns ein wenig die Beine zu vertreten und uns in der unmittelbaren Umgebung des Bahnhofs umzusehen. Dann ging es weiter.
Spät abends schafften wir es endlich, uns schlafen zu legen. Es war gut, dass wir die beiden Betten ganz oben hatten, denn das Gewusel auf den unteren vier Liegen wollte nicht enden. Mitten in der Nacht, ich war endlich eingeschlafen, erwachte ich davon, dass jemand sich unter den Sitzen am Gepäck zu schaffen machte. Ich ließ mich vom oberen Bett herab, um nachzusehen, denn ich hatte ein wenig Sorge um unsere Rucksäcke. Dort angelte aber nur ein marokkanischer Mitreisender etwas aus seinem Koffer. Eine Keksdose oder Ähnliches.
Es stank im Abteil nach den Ausdünstungen der vielen schlafenden Menschen. Und nach Knoblauch! Durch das Fenster schaute ein weißer Vollmond. Wie eine hellerleuchtete Lampe an einem schwarzen Theaterhimmel. Nur der Mond, sonst war nichts zu erkennen. Keine Stadt, kein Dorf, kein Berg und kein Fluss. Nichts als schwarze Nacht.
Gegen 4:30 Uhr weckte Bernd mich auf. Wir mussten um 5:06 in Ronda aussteigen und noch immer war der Schaffner nicht mit unseren Reisepässen zurückgekommen. Also machten wir uns verschlafen auf die Suche nach ihm. Jeder in einer anderen Richtung. Bernd fand ihn schließlich, entriss ihm unsere Pässe und kam damit zur Tür zurück, an der ich schon wartend mit unseren Rucksäcken stand, denn der Zug sollte in 3 Minuten in Ronda ankommen. Ich wäre auch ohne Pass ausgestiegen, denn ich war froh, endlich diesem orientalischen Lindwurm zu entkommen.
In Ronda hielt der Zug nur für einen kurzen Augenblick, spie uns mit unseren Rucksäcken aus und verschwand in die Nacht, die noch keine Spur von Dämmerung zeigte. Die Luft war kalt und frisch. Wir atmeten tief ein. Welch ein Genuss nach den langen Stunden in dem überfüllten Zug!
Wir schulterten unsere Rucksäcke und stiefelten in die Stadt. Ich war trotz der Dunkelheit gleich begeistert von der Schönheit Rondas und als die Sonne langsam aufging und ihr Licht über rote Dächer auf schneeweißen Häusern ergoss, glaubte ich, noch nie etwas Schöneres gesehen zu haben. Schließlich kamen wir in die Altstadt von Ronda, die eine Brücke, der Puente Nuevo, mit dem neuen Teil der Stadt verbindet. Zwischen den beiden Stadtteilen liegt eine 160 Meter tiefe Schlucht, El Tajo genannt.
Wir hatten Glück und fanden das wohl einzige kleine Café, das um diese frühe Stunde schon geöffnet hatte. Dort nahmen wir an einem kleinen maurischen Tisch erst einmal ein Frühstück ein. Der Kaffee schmeckte herrlich und vertrieb die Müdigkeit, die von den Strapazen der langen Zugfahrt zurückgeblieben war. Später bezogen wir unser Hotelzimmer und erkundeten den Ort. Ich war begeistert von den Überbleibsel der maurischen Kultur und konnte mich nicht satt sehen an den Patios, mit ihren bunten Mosaiken und den prächtigen Pflanzen, die rund um sprudelnde Brunnen wuchsen. Die Apfelsinen waren reif und der Oleander stand in voller Blüte.
Wir besichtigten die älteste Stierkampfarena Spaniens, die Casa del Rey Moro (Haus des Maurischen Königs), die Kirche Santa Maria Mayor und jede andere Kirche der Stadt und natürlich alle Museen. Bernd machte ein schönes Foto von mir auf dem Balkon Viajeros Romanticos, von dem man einen herrlichen Blick über die Landschaft um Ronda hat. Abends saßen wir in einem der kleinen Restaurants und genossen gutes Essen und köstlichen Wein.
Bernd hat eine Passion. Er joggt, wo immer wir sind. Ob in Namibia in der Wüste – mit Oryxantilopen im Nacken – ,oder im Yukon – mit Schwarzbären auf seiner Spur. So auch in Ronda. Dass sich dies in einer Stadt, die hoch oben über einer Schlucht thront, schwierig gestaltet versteht sich von selbst. Also beschloss Bernd, in die Schlucht hinunter zu laufen und natürlich wieder hinauf. Wie er das bei der Hitze überlebte, weiß ich nicht. Ich stand auf der Puente Nuevo und verfolgte besorgt seinen Lauf. Nach etwa 30 Minuten kam er völlig aufgelöst wieder oben an.
Nach einer kalten Dusche verspürte er großen Hunger und wir gingen in ein Restaurant gegenüber der Brücke und aßen dort eine Tomatensuppe. Als Zugabe bekamen wir einen herrlichen Blick in die Schlucht und auf das ausgetrocknete Flussbett des Rio Guadalevin. Wir fühlten uns prächtig, vor allem Bernd nach der verbrachten Heldentat. Deshalb war er an diesem Tag wohl besonders großzügig – was er eigentlich immer ist – und gab dem Kellner ein gutes Trinkgeld. Dieser verneigte sich mit strahlendem Gesichtsausdruck und lud uns ein, am Abend wiederzukommen. Dann begleitete er uns zur Tür, hielt diese für uns auf und verneigte sich wieder. Wir wunderten uns. Was war denn mit diesem Kellner los? Doch da dämmerte es uns und ich zog die Rechnung aus der Tasche meines Sommerkleides. Nach kurzer Überlegung wurde uns bewusst, dass Bernd dem Kellner das wohl höchste Trinkgeld seines Lebens gegeben hatte.
Von Ronda fuhren wir mit einem Überlandbus nach Marbella. Dort hatte ich einen Freund, den ich bei einem Drehbuchseminar kennengelernt hatte. Luis war Doktor juris causa und 83 Jahre alt. Er war immer noch ein sehr schöner Mann, gepflegt, mit aufrechtem Gang und stets gut gekleidet. Er hatte ein aufregendes Leben hinter sich. Er arbeitete lange Jahre für die Weltorganisation „Lions International“ und als Leiter des Kreditunternehmens „Diners“. Doch die meiste Zeit, – wenn er nicht gerade Farmer in Brasilien war, wo er mehr als 20 Jahre eine Farm besaß – arbeitete er als selbständiger Übersetzer von Handelsverträgen. Er hatte die Welt als interessierter Einzelgänger bereist, fern ab der sonst üblichen von Touristen ausgetretenen Pfade. Er kannte alle berühmten Politiker der Welt und hatte mit sämtlichen Größen aus Politik und Showbiz gespeist. In seinen Lebenserinnerungen „Als die Fische vom Himmel fielen“ erzählt er eine Reihe abenteuerlicher Geschichten seines Lebens. Sehr lesenswert!!!
Luis hatte uns also eingeladen, ihn und seine 30 Jahre jüngere Frau Doris, mit der er seit 35 Jahren verheiratet war, auf unserer Reise nach Marokko zu besuchen und gleich ein paar Tage zu bleiben. Als wir an seinem Haus in Marbella ankamen, hatte er noch nicht mit uns gerechnet. Er arbeitete mit kurzer Hose bekleidet im Garten und es war ihm sehr unangenehm, dass wir ihn so antrafen. Er verschwand im Haus uns schickte Doris zu uns hinaus. Sie begrüßte uns herzlich und führte uns hinüber zur Nachbarvilla.
„Hier könnt ihr wohnen, solange ihr wollt“, sagte sie. „Das Haus gehört uns, aber wir benutzen es nur als Gästehaus.“
Wir trauten unseren Augen nicht. Die Villa war groß mit Blick auf das Meer. Sie hatte einen von Palmen und Oleander umwachsenen Pool im Garten, um den eine Reihe bequemer Liegen standen. Das Haus war mit allem ausgestattet und der Kühlschrank war gefüllt. Auf dem Wohnzimmertisch stand eine Flasche Wein.
„Und hier ist der Schlüssel zu eurem Auto“, ergänzte Doris und machte uns so völlig perplex.
Sie zeigte uns einen Mittelklassewagen, den wir benutzen konnten, solange wir in Marbella weilten. Das nennt man Gastfreundschaft! Schließlich lud sie uns für den Abend zum Essen ein.
Luis hatte auf seiner Veranda eine Kollektion von Massage-Liegen, die er uns vor dem Essen vorführte. Wir sollten uns in unterschiedliche Liegen setzen und wurden dann „elektrisch“ massiert. Das war ein Spaß der besonderen Art. Bis dahin hatte ich nicht gewusst, dass es so viele unterschiedliche Massagearten gibt.
Luis führte uns am nächsten Tag durch Marbella und wir nutzen auch das Auto, um die weißen Dörfer in der unmittelbaren Umgebung zu besichtigen. Natürlich fuhren wir auch nach Sevilla – dort wäre Bernd auf dem Bahnsteig, zwischen zwei wartenden Zügen beim 36° Grad im Schatten beinahe den Hitzetod gestorben – besichtigten die Alhambra in Granada und verbrachten einen Tag in Malaga. Es waren herrliche Tage bei Luis und Doris und unvergessliche Abende mit anregenden Gesprächen. Ein Jahr später besuchten die beiden uns in Mönchengladbach.
Von Marbella brachen wir per Zug auf in Richtung Algeciras, der Hafenstadt in der Provinz Cádiz, von wo unsere Fähre nach Tanger in Marokko abgehen sollte.
Von unserem Aufenthalt in Tanger, Fez und Marakesch berichte ich im 3. Teil der Geschichte.
Text und Fotos: © Xenia Marita Riebe
Mit dem Rucksack nach Marokko – Teil 1
Mit dem Rucksack nach Marokko – Teil 3
“Als die Fische vom Himmel fielen” – Luis Breitenbach
ISBN 3-89811-376-0
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