Abnehmen mit dem 9 Euro-Ticket

Du willst abnehmen? Kein Problem! Kaufe dir einfach ein 9 Euro-Ticket und versuche mit Bus und Bahn zum Frühstück in Restaurants zu fahren, die nicht direkt in deiner Stadt liegen. Erlebe Intervallfasten auf die besonders aufregende Art! Ein Selbstversuch.

Neulich wurde das 9 Euro-Ticket eingeführt. Grenzenlos durch ganz Deutschland fahren für nur 9 Euro im Monat. So bekannt – so gut.

Nun sind mein Mann Bernd und ich passionierte Auswärts-Frühstücker. Das heißt, dass wir gerne zu unterschiedlichen Orten fahren, um dort besondere Frühstücksangebote wahrzunehmen. Meistens verbinden wir dies freilich mit nützlichen Dingen, wie Besorgungen oder auch einer Wanderung durch die Natur.

Wir sind aber auch Energiesparer und Umweltschützer und haben uns vorgenommen, während der drei 9 Euro-Ticket-Monate unser Auto komplett stehen zu lassen. Da wir immer schon viel mit der Bahn gereist sind, schien uns das kein Problem zu sein. Per VRR-App, DB-App und sogar einem physischen Fahrplan der VRR mit Linienplan sollte sich alles ganz leicht planen und in die Tat umsetzten lassen.

Also brachen wir frohgemut auf, um bei IKEA in Kaarst zu frühstücken. Dass wir dies öfter tun, wissen unsere Leser, denn es gibt darüber schon mehrere lustige Artikel auf Blue Blog. Wir leben in Mönchengladbach, bekanntlich eine Großstadt in der Nähe von Düsseldorf und auch nahe der Grenze zu den Niederlanden.

Um 8:24 standen wir pünktlich an der Haltestelle der Linie 017 und fuhren bis zum Hbf. Dort wollten wir den Maas-Wupper-Express um 8:45 nach Neuss nehmen. Leider verpassten wir diesen Zug, obwohl wir rasend schnell durch den Bahnhof liefen und die Treppe hinaufstürmten. Warum, wissen wir nicht. Am Bahnsteig war kein Zug zu sehen, obwohl die Abfahrtszeit erst zwei Minuten später sein sollte. Wahrscheinlich war der Zug ausgefallen. Also nahmen wir die S8 nach Neuss und dort wollten wir in die S28 – Kaarster See – zur Haltestelle IKEA fahren. Leider hatte die S28 eine halbe Stunde Verspätung. Langsam meldete sich mein Magen, denn wir waren ja nüchtern. Als wir schließlich losfuhren und auch an der Haltestelle IKEA ankamen, war der Shuttlebus zum neuen Standort des Einrichtungshauses schon weg. Der nächste kam in 20 Minuten. Inzwischen war stand die Sonne schon recht hoch und unsere Mägen hingen recht tief. Auf dem öden Parkplatz, auf dem sich die Haltestelle des Shuttlebus befindet, gab es keine Sitzmöglichkeit und auch keinen Schatten. Dafür befreite ein Mann mit einem Rasentrimmer völlig sinnfrei Pflanzen zwischen dem Verbundpflaster und produzierte dabei Lärm und Staub. Dadurch stieg meine Stimmung nicht. Endlich war auch diese Wartezeit überstanden und der Shuttlebus fuhr ein. Eine freundliche verschleierte Frau war die Fahrerin und als sie losfuhr, stellte sie orientalische Musik an. Dies im Zusammenspiel mit der Hitze, die inzwischen herrschte, machte mich glauben, dass ich in einem Dolmuş auf dem Weg durch eine türkische Stadt war. Wohl dem, der mit Fantasie begabt ist.

Inzwischen war es 10:30 und ich hatte seit dem Vorabend um 18:00 nichts mehr gegessen. Beim modernen Intervallfasten soll die Person, die bereit ist ihr Gewicht zu reduzieren, 16 Stunden zwischen den einzelnen Mahlzeiten auf Nahrung verzichten. Wir waren nun bei 16 ½ angelangt und fühlten uns dementsprechend schwach. Doch das ganz hervorragende vegetarische Frühstück, das wir im IKEA-Restaurant bekamen, brachte uns wieder zu Kräften. 30 Minuten später traten wir den Rückweg an, denn wir wollten ja nicht den ganzen Vormittag mit der Einnahme des Frühstücks verbringen. Das Positive war, dass der Dolmuş schon wartete. Alles andere war wieder schwierig. Die S28 hatte 30 Minuten Verspätung, dadurch verpassten wir wieder den Maas-Wupper-Express und mussten auf die S8 ausweichen, die auch verspätet war. Schließlich kamen wir nach anstrengenden 4 ½ Stunden wieder zu Hause an. Was für ein Vormittag! Experiment missglückt!

Da wir aber nicht nur gerne frühstücken, sondern auch nachmittags manchmal einen Kaffee mit einer Waffel oder ähnlichem schätzen, sollte unsere zweite Tour in den Dalheimer Wald führen. Unsere Fahrt begann um 14:08 mit der Linie 014 in Richtung Mönchengladbach/Rheydt Hbf. Zur Erklärung: Mönchengladbach ist die einzige deutsche Stadt mit zwei Hauptbahnhöfen. Von Rheydt Hbf sollte es mit der Dalheimbahn RB34 um 14:35 direkt nach Dalheim Bahnhof gehen. Diesmal konnte nichts geschehen, dachten wir. Doch es geschah, dass der freundliche Herr aus dem Stellwerk uns über Lautsprecher mitteilte, dass die RB34 leider ausfalle. Die nächste fuhr eine Stunde später. Nun hatten wir auf das Mittagessen verzichtet, denn wir wollen ja unsere schlanke Statur behalten. Entsprechend groß war unsere Enttäuschung und unser Hunger. Um dem Abhilfe zu schaffen, beschlossen wir einen Eiskaffee zu trinken. Dazu mussten wir aber zum Markt gehen, was im Moment nicht so leicht ist, da das Gebäude des Rheydter Bahnhofs abgerissen wurde und der Reisende einen weiten Bogen um die Baustelle machen muss. Doch was sollte es, der Hunger trieb uns an. Eine Stunde später standen wir wieder auf dem sonnigen Bahnsteig und warteten auf die RB34, die auch tatsächlich einfuhr. Jetzt lief alles glatt. Der Zug brachte uns zum Bahnhof Dalheim. Hier fiel mir ein Schild mit einem Piktogramm auf, das das Ende des Gleises markiert. Es zeigte, einen schwarzen Mann mit ausgebreiteten Armen auf gelben Grund. Jemand hatte unter die Arme der Figur geschrieben „No Asyl“. In Dalheim, das sehr weit entfernt von der nächst größeren Stadt liegt, werden regelmäßig Asylbewerber untergebracht.
Mit immer noch knurrendem Magen machten wir uns auf den Weg zur Dalheimer Mühle. Es war sehr warm und der Weg, den wir zurücklegen mussten war recht lang. Keine Menschenseele war unterwegs, nur einige Schmetterlinge tanzten im Sonnenschein. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel. Wie freuten wir uns auf eine Tasse Kaffee und eine Waffel mit Eis und Sahne. Wir fanden, dass wir uns diese jetzt redlich verdient hatten.

Immer noch nicht desillusioniert, wollten wir ins schöne Brüggen fahren, um dort in einem Gartenrestaurant zu frühstücken. Wieder ging es mit der 017 los und wir bekamen am Hbf Mönchengladbach um 9:25 den RE13 nach Venlo. Dieses Mal versprach alles recht unkompliziert zu sein. In Boisheim stiegen wir aus. Von dort sollte es mit dem SB (Schnellbus) 89 weiter nach Brüggen Zentrum gehen, was laut App nur 15 Minuten dauern würde.
Doch der Bahnhof Boisheim „stand einsam hier und sonnbeschienen – die Vögel schwirrten aus dem Kraut – kein Klang der aufgeregten Zeit drang noch in diese Einsamkeit“. („Abseits“ Theodor Storm)
Leider auch nicht das Geräusch eines Busmotors. Wo war die Haltestelle des SB89, der eigentlich dort mit laufendem Motor auf uns warten sollte? Laut App sollten ein Fußweg von zwei Minuten uns zum Bus führen. Doch welche Richtung sollten wir einschlagen? Geradeaus, die Straße herunter? Doch auf dieser Straße war keine Haltestelle auszumachen. Ich konnte sie bis zur nächsten Kreuzung einsehen, die etwa 800 Meter entfernt war. Rechts von uns befand sich ein Weg. Sollten wir diesem folgen? Schnell gingen wir zu einem Infopoint, in der Hoffnung, dass uns dort der Weg zur Bushaltestelle angezeigt würde. Aber leider Fehlanzeige. Es gab Wegweiser zur Kirche usw., einige Radwanderwege waren ausgewiesen. Die für uns wichtige Info fehlte.

Mit uns waren zwei Frauen aus dem Zug gestiegen, die einen wichtigen Termin in Brüggen hatten. Auch sie wollten mit dem Bus weiterfahren. Da wir die knappe Umsteigezeit kannten, rannten wir schließlich zu viert den Weg entlang und sahen in der Ferne unseren Bus vorbeifahren. Nun war guter Rat teuer, denn der nächste SB89 fuhr erst eine Stunde später. Auf der Nettetalerstraße angekommen, sprachen wir mit ein paar Einheimischen, die uns sagten, dass es keine andere Möglichkeit gäbe, nach Brüggen zu kommen. Eine der Frauen begann zu weinen, denn sie hatte einen Termin im Kinderheim, um ihre Kinder nach langer Zeit zum ersten Mal zu sehen. Wir beschlossen ein Taxi zu rufen und uns den Fahrpreis zu teilen. Für uns war das nicht wichtig, aber wir hatten Mitleid mit der Frau und wollten ihr gerne helfen, ihr Ziel rechtzeitig zu erreichen. Beim Telefonat mit der Taxizentrale, musste ich leider erfahren, dass man uns erst in ca. 30 Minuten einen Wagen schicken könne und dass die Fahrt nach Brüggen ungefähr 25,-Euro kosten würde. So hatte sich diese Idee erledigt, da die Frau ihren Termin auf diese Weise nicht einhalten konnte. Also versuchten wir, per Autostopp weiterzukommen, was nicht gelang, da die wenigen Autofahrer, die anhielten, nicht nach Brüggen fuhren.

Bernd und ich zogen dann die Reißleine und nahmen den RE13 um 10:16 zurück nach Mönchengladbach – er fährt auch nur stündlich und wir wollten nicht noch eine Stunde in der prallen Sonne herumlaufen – während die beiden Frauen ratlos zurückblieben. Außerdem waren wir inzwischen so hungrig, dass wir dringend nach einem Restaurant suchen wollten, um endlich zu frühstücken.
Schließlich saßen wir um 11:00 in einem Café am Albertusplatz in Mönchengladbach und bekamen nach einiger Wartezeit endlich ein Frühstück. Inzwischen hatten wir mehr als 17 Stunden gefastet. Eine volle Stunde länger, als beim Intervallfasten empfohlen.

So einfach ist abnehmen mit dem 9,- Euro-Ticket. Ob das wohl der Hintergedanke ist, den die Bundesregierung angesichts der unglaublich vielen übergewichtigen Menschen in Deutschland hatte, als sie das Ticket einführte?
Oder sind nur wir so verrückt, dass wir glauben, mit dem Ticket auch etwas entlegenere Orte problemlos erreichen zu können?

Bei unserem nächsten Versuch, nehme ich auf jeden Fall ein Rescue kit mit.

Abseits – Gedicht von Theodor Storm (1847)

Es ist so still; die Heide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenroter Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Heideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.

Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelheide Glöckchen,
Die Vögel schwirren aus dem Kraut –
Die Luft ist voller Lerchenlaut.

Ein halbverfallen niedrig Haus
Steht einsam hier und sonnbeschienen;
Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.

Kaum zittert durch die Mittagsruh
Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigernten.
– Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.

Text und Foto: © Xenia Marita Riebe

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1 Kommentar zu „Abnehmen mit dem 9 Euro-Ticket

  1. Tolle Story! So kann es gehen mit dem öffentlichen Nahverkehr! Er ist voller Überraschungen! Nur mit leeren Magen und Terminen nicht lustig! Wünsche Euch noch viele schöne, stressfreie, erfolgreiche Fahrten.

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