Unter dem Wasserfall
Neulich war ich im Hallenbad. Ich möchte kurz erwähnen, dass ich eine ausdauernde, wenn auch leidenschaftslose Schwimmerin bin. Seit nunmehr 42 Jahren schwimme ich einmal wöchentlich 1000 Meter, wobei ich zwischen den Schwimmstilen Kraul, Brust und Rücken variiere.
So auch neulich. Nach dem Schwimmen liebe ich es, unter dem Wasserfall meine ermüdeten Muskeln ein wenig massieren zu lassen. Der Wasserfall ist natürlich kein echter, sondern besteht leider nur aus Beckenwasser, das mit Hilfe einer Pumpe drei Meter in die Höhe geleitet wird, um von dort durch einen 1,20 Meter breiten Ablauf in das Schwimmbecken zurückzustürzen. Steht man aber unter dem Wasserfall, könnte man wohl meinen, unter dem Wasser eines stürzenden Gebirgsbachs zu stehen. Das Tosen des Wassers ist beträchtlich und es hat auch eine ziemlich Kraft. Da braucht es schon eine gute Standfestigkeit, damit es einen nicht von den Füßen hebt.
Hier stehe ich nun Woche für Woche für 10 Minuten. Ich schließe dabei stets meine Augen, um sie vor Spritzwasser zu schützen. Außerdem kann ich mich mit geschlossenen Augen besser auf die Massage der Muskeln konzentrieren und auch auf die unterschiedlichen Positionen, die ich einnehme, um alle Muskeln optimal zu lockern. Von der Umgebung bekomme ich dann allerdings wenig bis gar nichts mit. Und so geschehen mir dort manchmal seltsame Dinge.
Neulich stehe also konzentriert und doch ein wenig in mich gekehrt unter dem Wasserfall, als ich plötzlich ein lautes kurzes Bellen vernehme. Ein Hund im Schwimmbecken, unmöglich!, denke ich und öffne erschrocken die Augen. Da sehe ich einen älteren Mann mit dem Gesicht einer Bulldogge, der neben mir unter dem Wasserfall steht und völlig harmlos tut. Und doch muss er gebellt haben, wahrscheinlich, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich rücke schnell von ihm ab auf die gegenüber gelegene Seite des Wasserfalls und murmele dabei eine Entschuldigung. Dort verankere ich meine Füße wieder fest auf dem Beckenboden und schließe die Augen. Als ich kurze Zeit später wieder in Richtung des Mannes blinzle, ist dieser verschwunden. Ein merkwürdiger Hund, denke ich.
Einige Wochen vorher stand ich ebenfalls dort, wie immer mit geschlossenen Augen. Ich hatte nach einer Weile das Gefühl, meine Position ein wenig verändern zu müssen, denn ich wollte gerne meine rechte Schulter etwas intensiver massieren lassen, da ich meinen rechten Arm beim Kraulen immer etwas mehr beanspruche, als den linken. Also rückte ich einen Schritt weiter nach rechts und prallte unverhofft gegen einen Körper. Ich schrak zusammen und öffnete die Augen. Entsetzt stellte ich fest, dass ich sehr dicht neben einem Mann stand, der mich grinsend anschaute. Ich entschuldigte mich schnell und tat den Schritt zurück auf meine alte Position. Dort blieb ich, bis der Wasserfall versiegte und hielt während der ganzen Zeit die Augen fest geschlossen, denn ich wollte den grinsenden Mann nicht noch einmal sehen. Doch nun war es Zeit, wieder mit geöffneten Augen durch das Wasser zu gehen und mich auf den Beckenrand zu stemmen, dort wo meine Badelatschen standen. Aber, oh Schreck, dort stand auch der Grinser und schaute mit unverhohlenem Interesse auf mich herunter. Ich tat so, als nehme ich ihn nicht wahr, schwang mich hoch und stand bald neben ihm am Beckenrand.
„Kann man Sie kennenlernen?“, fragte er und grinste wieder unverschämt. „Ich meine, weil wir uns doch eben schon so nah gekommen sind.“
Ich schlüpfte schnell in meine Badelatschen und sagte etwas wie: Hatte die Augen zu, habe Sie nicht kommen sehen, oder Ähnliches und machte mich schleunigst davon in Richtung Damendusche. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass der Grinser mir auffällig nachschaute, was mir sehr unangenehm war. Ich rechnete schon damit, dass er mir folgen und mir lästig werden würde. Aber er blieb, wo er war und begnügte sich mit einem anzüglichen Lachen.
Solche Szenen könnten mir meine Wasserfallmassage verleiden, wüsste ich nicht, dass ich normalerweise immer allein unter den fallenden Wassern stehe. Begegnungen wie neulich, sind daher auch künftig nicht unbedingt zu erwarten.
Text und Foto: © Xenia Marita Riebe
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