Und da war auch noch die Sache mit dem Kies

„Ja, dann kommen Sie doch einfach herein!“

Neulich gingen Bernd und ich zu Fuß zu einem Restaurant. Wir aßen eine Kleinigkeit und tranken dazu auch das eine oder andere Bierchen. Auf dem Rückweg sprach ich über meinen Garten, in dem ich gerade neue Wege angelegt hatte.

„Mir fehlt noch ein bisschen Kies“, sagte ich. „Leider hat der, den wir in der Kiesgrube geholt haben, nicht ganz gereicht.“

Als ich dies aussprach, fiel mein Blick auf einen frisch angelegten Parkplatz. Dort lag in der Ecke ein etwa 1 ½ Meter hoher Haufen Kies, der offensichtlich nicht mehr gebraucht wurde. Das Haus, zu dem der Parkplatz gehörte, war mir schon öfter aufgefallen, denn ich kam täglich auf dem Weg zu meinem Atelier daran vorbei. Ich fragte mich schon die ganze Zeit, wer in diesem Haus lebte. Manchmal sah ich Leute verstohlen über die Straße kommen und im Eingang des Hauses verschwinden. Ich war schließlich zu dem Schluss gekommen, dass sich in dem nach außen so verschlossenem Haus die Praxis eines Psychologen befinden könnte. Das Haus war erst kürzlich auf das Feinste restauriert und renoviert worden. Wahrscheinlich hatte der Psychologe es noch nicht geschafft, sein Praxisschild anzubringen.

Nun kamen wir also in angeheiterten Zustand dort vorbei.

„Weißt du was?“, fragte ich Bernd. „Ich läute jetzt einfach und frage, ob ich mir ein paar Eimer von dem Kies holen kann.“

Gesagt, getan! Wir gingen zur Eingangstür und läuteten. Eine ziemlich spärlich bekleidete junge Frau öffnete uns.

Ohne weiter darüber nachzudenken sagte ich zu dieser: „Entschuldigen Sie bitte. Wir haben ein etwas ungewöhnliches Anliegen.“

Noch ehe ich meine Einleitung weiter erläutern konnte, riss die Frau die Haustür weit auf und trällerte: „Ja, dann kommen Sie doch einfach herein!“

Verdutzt blieben wir draußen stehen.

„Das wird nicht nötig sein“, versuchte ich zu erklären. „Ich möchte nur nach dem Kies fragen. Ich meine, ob ich etwas davon haben kann?“

„Von dem Kies?“, fragte die junge Frau und schaute mich an, als ob ich nach dem Mann im Mond gefragt hätte.

„Ja“, sagte ich. „Von dem Schotter.“ Ich dachte, dass sie diese Vokabel wohl eher verstünde.

Doch sie glotzte mich an wie eine Kuh. Sie schien angestrengt zu überlegen, verstand aber offensichtlich nicht, was hier vor sich ging.

Da erklärte ich ihr, dass ich auf dem Parkplatz einen Haufen mit Kies, oder Schotter, wie man das Material auch nennen wollte, gesehen habe und dass ich genau dies für meinen Garten brauche.

Endlich verstand sie und schloss die Tür ein wenig. Sie versprach mir, ihren Chef zu fragen und mich dann anzurufen. Ich gab ihr unsere Telefonnummer, wir verabschiedeten uns und setzten unseren Heimweg fort. Natürlich wunderten wir uns ein wenig, was eine solche offensichtlich dümmliche Frau, die dazu noch recht leicht bekleidet war, im Haus eines Psychologen machte. Die Arzthelferin konnte es nicht gewesen sein! Doch dann vergaßen wir das Ganze, denn wir rechneten nicht damit, von der Lady zu hören.

Am nächsten Abend um die gleiche Zeit klingelte das Telefon. Ich nahm ab und meldete mich mit meinem Namen. Eine kurze Pause entstand.

Doch dann hauchte am anderen Ende der Leitung eine Frau in den Hörer: „Massageparadies. Sie hatten doch wegen des Kies angefragt?“

„Ja“, antwortete ich verwundert.

„Ich soll Ihnen ausrichten, dass Sie sich ein paar Eimer davon nehmen können.“

„Oh, danke, das ist aber nett“, sagte ich etwas unsicher. „Was will Ihr Chef denn dafür haben?“

„Na ja, nichts weiter. Er meint nur, dass Sie vielleicht etwas Werbung für unser Etablissement machen könnten. Mund zu Mund Propaganda. Verstehen Sie?“

Jetzt begriff ich und ein Lachen stieg mir die Kehle hoch. Ich versprach, dies zu tun, bedankte mich für die Großzügigkeit des Chefs und für den freundlichen Anruf und legte auf.

Schnell ging ich zu Bernd und erzählte ihm von dem merkwürdigen Anruf.

„Lass uns mal im Internet nachsehen“, schlug Bernd vor.

Wir gaben in die Suchmaschine Massageparadies Mönchengladbach ein und drückten die Returntaste. Die Internetseiten, die uns dann angezeigt wurden, machten uns staunen. Unser Massageparadies war nichts weiter als ein ganz gewöhnliches Bordell. Von den speziellen Praktiken, die dort angeboten wurden, kannten wir nicht einmal die Hälfte vom Hören. Was mochte täglich in diesem recht unscheinbaren Haus geschehen? Jetzt wurde mir auch bewusst, warum die Männer immer so verstohlen um die Ecken huschten und schnell im Haus verschwanden. Und auch die vielen teuren Autos mit den auswärtigen Nummernschildern, die in der Nähe des Paradieses parkten, passten plötzlich in das Bild.

Wir schauten uns noch eine Weile im Netz um und entdeckten eine ganze Reihe ähnlicher Etablissements, die scheinbar alle im katholischen Mönchengladbach ihr Auskommen haben. Als wir merkten, dass wir von den Schilderungen der angebotenen Sexualpraktiken – Krankenschwesterspiele, Natursekt und Live-Videoaufzeichnugen vom ehelichen Geschlechtsverkehr, waren da noch die harmlosesten – rote Ohren bekamen, schalteten wir den Computer lieber aus.

Noch am selben Tag holte ich mir drei Eimer von dem Kies und schaufelte diesen auf meine Gartenwege. Es ging sich darauf genauso gut, wie über jeden anderen Kies.

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