Mit der Transsib durch Deutschland

 

Eisenbahnschienen im Winter

Neulich fuhr ich mit der Bahn von Hamburg nach Düsseldorf.
Es war ein eiskalter Wintertag mit Ostwind und Schneetreiben. Frierend stand ich in Hamburg Altona und wartete auf den verspäteten IC.
Zuvor war ich mit der Fähre von Wyk auf der Insel Föhr gekommen und hatte in Dagebüll beinahe eine Stunde auf den kleinen Zug der neg (Norddeutsche Eisenbahngesellschaft) gewartet, der mich nach Niebüll bringen sollte. Schon bei meinem kurzen Fußweg zur Fähre – meine Freundin hatte mich mit dem Auto zum Anleger gebracht – wurde ich vom Sturm beinahe weggeweht. Aber ich war glücklich, dass überhaupt eine Fähre die Insel verließ und so dachte ich nicht weiter über das Wetter nach.
Das änderte sich freilich, als ich in Dagebüll – notdürftig durch eine Glasscheibe vor dem eiskalten Ostwind geschütz – wartend stand. Die Minuten krochen wie Stunden dahin und mir wurde immer kälter. Zuerst begann es an den Füßen und Händen und schließlich war ich durch und durch ausgekühlt.
In Niebüll sollte ich eigentlich sofort Anschluss an einen Zug der Deutschen Bahn haben, aber wie immer hatte dieser Verspätung. Als er endlich langsam in den kleinen Bahnhof einfuhr, war ich halb erfroren. Zum Glück fand ich einen Sitzplatz, denn der Zug war besetzt mit Schülern, die von Westerland auf Sylt kamen. Im Zug wärmte ich mich wieder auf und die Welt schien wieder in Ordnung zu sein.
In Hamburg Altona musste ich leider aus dem behaglichen Zug aussteigen. Die Schüler waren schon längst ausgestiegen und im Großraumabteil herrschte eine friedliche Ruhe. Ich wäre mit diesem Zug gerne bis nach Düsseldorf weitergefahren.
Natürlich hatten wir bei der Ankunft Verspätung, aber das war nicht schlimm, denn der IC, den ich dort erreichen musste, war auch verspätet. Wen wundert`s?
Da ich keine Platzreservierung hatte, stellte ich mich dort an das Gleis, wo der letzte Wagen vermutlich anhalten würde, denn so wollte ich meine Chance auf einen Sitzplatz erhöhen. Als der IC einfuhr, stieg ich dann auch in den letzten Wagen und fand dort Abteile vor, wie man sie von früher kennt. Zuerst war ich verwundert, denn inzwischen bin an Großraumabteile gewöhnt. Nach kurzem Fremdeln mit dem altmodisch wirkenden Abteil, hielt ich mich aber für einen Glückspilz, denn ich hatte tatsächlich ein ganzes Abteil für mich allein. Ich holte mein Buch aus dem Rucksack und begann zu lesen. Sehr gemütlich war es allerdings nicht in meinem Abteil. Der Grund dafür erschloss sich mir aber erst später. Im Hamburger Hauptbahnhof kam ein junger Mann in das Abteil und setzte sich auf einen der Plätze.

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Nach ein paar Minuten fragte er mich, ob ich etwas dagegen hätte, die Heizung aufzudrehen. Ich antwortete, dass ich dies schon versucht hätte. Der Mann überzeugte sich davon, dass die Heizung voll aufgedreht war und konnte nicht glauben, dass sie sich trotzdem recht kalt anfühlte.
„Das Fenster schließt auch nicht richtig“, sagte ich. „Ich habe schon ein paar Mal versucht es besser zu schließen.“
Der Mann schaute nach. Er öffnete und schloss das Fenster, hielt prüfend seine Hände davor und sagte schließlich: „Die Dichtungen sind verschlissen. Da kann man nichts machen.“
Er ging zurück zu seinem Platz, zog seine Winterjacke über und setzte sich seine Wollmütze auf. Auch ich merkte immer mehr, dass mir kalt wurde. Zudem zog ein kalter Wind durch den oberen Fensterrand herein und fiel auf meinen Kopf herunter. Ich suchte nach meine Mütze und setzte sie auf. Wenige Minuten später zog ich auch meinen Mantel an. Ich kam mir ein wenig albern vor. Auf Bahnfahrten habe ich schon viel erlebt, aber mit Mantel und Mütze im Abteil habe ich noch nie gesessen.
In Bremen stieg eine Frau zu uns ins Abteil. Sie schaute ein wenig irritiert und begann, ihren Mantel auszuziehen. Ich warnte sie, sagte ihr, dass es sehr kalt im Abteil sei und dass sie ihren Mantel besser anbehalte. Sie glaubte mir scheinbar nicht.
Draußen herrschte nun dichtes Schneetreiben.
Ich war müde, legte mein Buch zur Seite und schloss die Augen um ein wenig Schlaf nachzuholen, der mir in der Nacht gefehlt hatte. Ich schlief auch tatsächlich ein. Geweckt wurde ich, als ich etwas Kaltes, Prickelndes auf der Haut in meinem Gesicht fühlte. Was konnte das sein?
Ich öffnete die Augen und stellte fest, dass der Schnee durch die defekten Fensterdichtungen in das Abteil wehte. Mein Mantel war bereits weiß gepudert und auch im Gesicht war ich nass vom Schnee. Zuerst glaubte ich zu träumen. Aber dann stellte ich fest, dass der Schnee real war. Die Frau, die mir gegenüber gesessen hatte, war inzwischen einen Platz weiter gerückt, weg vom Fenster. Ihren Mantel hatte sie nun auch angezogen und zog diesen fröstelnd um sich.
Draußen vor dem Fenster zog eine verschneite Landschaft vorbei und feiner Schnee wurde vom Ostwind verwirbelt.
„Hier ist es ja wie in der Transsib“, sagte ich und erntete zustimmendes Lachen.
Der junge Mann meinte, dass er sich schon nach einem anderen Platz umgesehen habe, aber es sei nirgendwo etwas frei.
So rückte auch ich vom Fenster ab und kuschelte mich tiefer in meinen Mantel. Ich hätte gerne eine Decke gehabt, um sie um meine kalten Beine zu schlingen. Aber es gab natürlich keine. So weit geht die Kundenbetreuung bei der Bahn natürlich nicht.
Als mein Zug auf der Hinfahrt mehr als eine Stunde Verspätung hatte, bot die Bahn den Fahrgästen immerhin kostenloses Mineralwasser an. Das musste man sich freilich in Wagen 10 abholen, ganz gleich wo man saß. Aber Decken für frierende Fahrgäste, das geht natürlich zu weit.
„Na ja“, sagte ich lachend zu meinen Mitreisenden. „So haben wir wenigstens etwas zu erzählen, wenn wir nach Hause kommen. Denn eine Fahrt mit der Transsib durch Deutschland, das hat man ja auch nicht alle Tage!“

Text: © Xenia Marita Riebe

Foto: © Wiki Commons

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