Fototagebuch – Jeden Tag ein Foto
Fotos vom 30.Oktober 2003 bis 29.November 2004
im Herbst 2003 hatte ich plötzlich die Idee, ein Fototagebuch zu beginnen. Ich nahm mir vor, jeden Tag ein Foto von etwas zu machen, das unmittelbar mit mir und meinem Leben zu tun hatte. Dabei sollte möglichst das herausragendste Ereignis des jeweiligen Tages dokumentiert werden, um so den Charakter eines Tagebuches zu bekommen. Ich machte mir aber zur Auflage, jeden Tag nur ein Foto aufzunehmen, was die Sache deutlich erschwerte. Dazu muss man wissen, dass ich eine analoge Spiegelreflexkamera besaß, und nicht, wie heute üblich, die unerwünschten Fotografien einfach löschen konnte. Ich musste also sehr genau überlegen, welchen Moment oder welches Ereignis des Tages ich auf meinen Film bannen wollte. So geschah es nicht selten, dass ich abwartete und dachte, dass der Tag sicher noch ereignisreichere Momente bringen würde. Öfter wurde darüber Abend und ich sah mich schließlich gezwungen, ein Motiv zu suchen, in der Gewissheit, dass es im Laufe des Tages wesentlich bessere gegeben hatte.
Doch meistens war ich mit meiner Wahl ganz zufrieden.
Im Laufe der Zeit entwickelte ich bestimmte Vorlieben und begann, wann immer es die Ereignisse des Tages erlaubten, in Serien zu arbeiten.
Erklären muss ich noch, dass ich mir zur Aufgabe gestellt hatte, meine analogen Fotografien entwickeln zu lassen und diese anschließend einzuscannen. Die so digitalisierten Bilder bearbeitete ich mit einem Bildbearbeitungsprogramm, dem Microsoft Picture Publisher, ein Steinzeitprogramm für heutige Vorstellungen. Doch ich wurde mit dem Programm sehr gut vertraut und erzielte für damalige Verhältnisse ganz gute Ergebnisse. Natürlich war auch die Qualität des zugrundeliegenden Fotos ein Kriterium für das Endresultat. Ich erinnere daran, dass ich täglich nur ein Foto machte. War dieses unscharf, verwackelt oder einfach nur banal, benötigte ich umso mehr Geschick, um daraus etwas halbwegs Annehmbares zu machen.
Die digital veränderten Fotos ließ ich auf Fotopapier ausdrucken. Dann klebte ich die ursprüngliche Fotografie auf schwarzes Tonpapier und versah es mit einer Seitenzahl. Genauso verfuhr ich mit dem digital veränderten Foto. Die beiden schwarzen Tonpapiere ( 21 x 12cm) heftete ich in unterschiedliche Ordner ein und schrieb dazu ein Inhaltsverzeichnis. So entstanden 730 aufgeklebte Fotos auf 730 Seiten Tonpapier. Die Ordner konnten nebeneinander gelegt und durchgeblättert werden. So war es dem Betrachter möglich, die ursprüngliche Fotografie neben der digital veränderten anzuschauen.
Besondere Reihen
Klone
Als ich bei der Bildverarbeitung lernte – learning by doing – markierte Bildinhalte zu kopieren und wieder einzusetzen, erinnerte ich mich an das Thema Klone, das ich in meiner Malerei bearbeitet hatte. Ich begann damit, Menschen, Tiere und Gegenstände zu verdoppeln oder sogar mehrfach in einem Foto zu verwenden.
So entstand das geklonte Schaf auf dem Deich, meine vielfach geklonte Tochter vor dem Gemälde von Andy Warhol, meine verdoppelten Töchter auf dem Dach des Abteiberg – Museums in Mönchengladbach und ein geklontes Stofftierschäfchen.
Spiegelserie
Ich fand auch Gefallen daran, mich selbst mit meiner Kamera im Spiegel festzuhalten. Deshalb machte ich Fotos von mir im Bad, in Umkleidekabinen von Kaufhäusern oder Fotos von Spiegelungen meiner selbst in Schaufensterscheiben etc.
Es lebe die…...
Aus der Spiegelserie entstand dann nebenbei die „Es lebe die…“ Reihe. Hierfür schrieb ich auf einen Spiegel mit Farbe Sprüche wie „Es lebe das Leben“, „Es lebe die Liebe“, Es lebe die Jugend“ und stellte Personen vor den Spiegel, um sie mit der Aufschrift zusammen zu fotografieren. Natürlich scannte ich auch diese Fotos nach der Entwicklung ein und bearbeitete sie digital, um sie noch ein wenig „verrückter“ zu machen.
Blasen, Mosaike und Invertierungen
Viele Fotos veränderte ich mit den vorprogrammierten Funktionen des Bildbearbeitungsprogramms. Dies vor allem zu Beginn, denn ich musste mich erst einmal mit dem Picture Publisher vertraut machen. Ich ließ Bilder in viele Facetten aufteilen, ließ Blasen in den Ecken entstehen oder invertierte die Farben einfach, um so etwas Neues zu kreieren.
Horizontale, vertikale Spiegelung und Schlagschatten
Später versuchte ich mich daran, Bildinhalte aus dem Foto zu kopieren, diese zu spiegeln und mit dem ursprünglichen Foto in einer neuen Datei zusammenzusetzen. So schuf ich einige ganz besondere Fotografien, wie unter anderem die „Wolkenfabrik“ und „Schlafende Giraffen“. Auch das Foto einer Frau, die auf einem Stuhl am menschenleeren Strand sitzt, veränderte ich auf diese Weise. Manchmal verwendete ich in bestimmten Bereichen eines Fotos Schlagschatten und erzielte damit erstaunlich verfremdende Ergebnisse.
Veränderungen im Bereich Farbe
Im Laufe des Jahres, in dem ich das Fototagebuch führte, machte ich auch viele Experimente mit der digitalen Veränderung von Farben. Ich invertierte, benutzte die Korrektur von Helligkeit und Kontrast und invertierte erneut. So entstanden einige interessante Bilder, deren Inhalte in der neuen Farbigkeit völlig anders dargestellt und gesehen werden konnten. Als Beispiel hierfür zeige ich hier unter anderem das Foto vom Marktplatz in Wenduine, Belgien.
Vermischung von Bildinhalten
Mit der Kopier- und Einfügefunktion arbeitete ich sehr gerne. Ich entnahm meinen digitalisierten Fotos Inhalte und fügte sie gespiegelt, gekippt oder auch in ihrer alten Ausrichtung in ein anderes meiner Fotos ein. Zum Teil vergrößerte ich die kopierten Inhalte, um sie im neuen Bild in den Focus zu rücken. So entstanden ganz neue Bilder mit teilweise verblüffenden Inhalten.
Der „gefallene Jesus“ findet sich plötzlich aufrecht hängend an der Wand eines Getreidesilos wieder und aus einem LKW springt wie ein Flaschengeist ein Mann heraus. Im Rückspiegel unseres Autos erscheint viel zu nah und deshalb bedrohlich ein LKW, der links und rechts zur Verstärkung des Eindrucks noch mehrere Male zu sehen ist. Eine zu große schwarze Katze schaut durch die Heckscheibe eines alten Volvos, der wegen eines Staus in den dem Kennedy Tunnel in Antwerpen eingewiesen wird. Eines meiner Lieblingsbilder ist das Foto des Haus Ur von Gregor Schneider, dessen Fassade ich digital abstürzen ließ.
Text und Fotos: © Xenia Marita Riebe
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