Apfelriemchentorte, Love and Peace

Neulich, na ja, das ist ein recht dehnbarer Begriff, war ich mit Eazy und Linda auf Sansibar. Wir lebten für ein paar Tage bei ein paar Freunden von Eazy, die an einem herrlichen weißen Strand eine Strandbar betreiben. Dort hatten sie auch ein kleines Haus, in dem sie drei Zimmer an Touristen vermieteten. Wir hatten zwei davon für uns reserviert, eins für Linda und mich und eins für Eazy. Das dritte Zimmer wurde für drei Monate von einer deutschen Frau bewohnt, die vorgab, sich auf Sansibar sammeln zu wollen, in Wahrheit aber mehrmals am Tag einen der jungen Tansanier in ihrem Bett empfing.
Die jungen Männer, die die Bar betreiben, waren eigentlich immer ein wenig bekifft, was für die allgemeine Stimmung eher von Vorteil war. Abends, wenn sie ihre Bar öffneten, kam noch der Alkohol dazu und die laute Reggaemusik, die immer aus den Boxen dröhnte und den Strand beschallte. Unter den Rhythmen von „Stir It Up“, „Could You Be Loved“ oder „Buffalo Soldier“ tänzelten sie um ihre Bar herum, gaben vorbei schlendernden Touristen bunte Mixgetränke oder rauchten selbstvergessen einen Joint nach dem anderen. Dabei waren sie immer bester Laune, lachten mit ihren weißen Zähnen im dunklen Gesicht, wann immer sie mich anschauten und waren erpicht darauf, ein Gespräch über Deutschland zu beginnen. Sie wollten alles wissen, fragten nach großen Städten, von denen sie schon gehört hatten und nach dem Wetter. Vor allem der Schnee interessierte sie und ob man in Deutschland auch Reggae hört.
Am zweiten Abend entzündeten sie in einer Kuhle im Sand ein schönes Lagerfeuer. Flugs waren aus Sand ein paar Sitzkuhlen gemacht, die mit Stoff ausgekleidet wurden und die ganze Gesellschaft nahm rund um das Feuer Platz. Brot und Süßkartoffeln wurden auf Stöcke gesteckt und im Feuer gebraten. Eine Flasche und ein Joint kreisten und hinter allem war im letzten Licht des Tages das türkisfarbene Meer zu sehen, auf dem ein paar Dhows mit roten Segeln dümmpelten.
Ich war ganz in dieser wunderbaren Stimmung gefangen und merkte nicht, dass sich ein junger Mann, den ich bisher noch nicht gesehen hatte, neben mich setzte. Er sprach mich auch gleich an und ich war erstaunt, dass er Deutsch sprach. Auf meine Frage, ob er in Deutschland gewesen sei, antwortete er, dass er nie dort war aber sehr gerne dorthin wolle. Wie alle hier, dachte ich. Sein recht gutes Deutsch hatte er in einer Sprachschule gelernt und er wollte es gerne verbessern. Deshalb bat er mich, ihm einige Wörter zu übersetzen, die er mir in Englisch auf einen Zettel geschrieben vorlegte. Eigentlich hatte ich keine rechte Lust, ihn zu unterrichten. Der Abend war zu schön, die Musik zu gut und die Stimmung zu fröhlich. Aber da ich nicht unhöflich sein wollte, ließ ich mich darauf ein. Ich schrieb ihm die Worte auf deutsch auf und hoffte, dass er dann gehen würde. Aber er blieb und versuchte immer wieder, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Er erzählte mir, dass er ein Café betreibe, in dem es Apfelriemchentorte gäbe. Ich wunderte mich ein wenig darüber, dass er ein so ausgefallenes deutsches Wort kannte, glaubte ihm aber, was das Café und den Kuchen betraf, kein Wort. Zum Glück bemerkte einer der Besitzer der Bar, dass mir der Mann unangenehm wurde und griff ein. Er schickte Joseph, so hieß der Mann mit den Deutschkenntnissen, weg und der Abend nahm auch für mich wieder einen gelösten Verlauf.

Xenia Marita Riebe: Boat People – Skulpturengruppe

Die Tage unseres Aufenthalts an der Küste Sansibars verbrachten wir mit Schwimmen, Spazierengehen und mit ein paar Ausflügen in die nähere Umgebung. Eazy besorgte für einen Tag ein Auto und wir fuhren zum letzten tropischen Urwald, der auf Sansibar erhalten ist, dem Jozani Chwaka Bay National Park. Dort bestaunten wir die riesigen Bäume, meist Benjaminus Ficus, mit ihren Lianen und sahen den Roten Stummelaffen zu, die possierlich zwischen den Blättern saßen und Früchte aßen. Die Mangrovenwälder, die dort große Flächen einnehmen, faszinierten mich am meisten. Ich sah in ihnen kleine menschliche Figuren, die zu Tausenden aus dem schlammigen Boden wuchsen. Wieder zu Hause empfand ich diese aus Zeitungspapier nach. So entstand eine Arbeit, die ich „Boat People“ nannte.
Auf dem Rückweg zum Strand kauften wir an einer Garküche am Wegrand „Chipsi mayai“, die uns direkt in eine der schwarzen dünnen Plastiktüten geschüttet wurde. Es waren wohl die schärfsten Pommes frites die ich jemals in meinem Leben gegessen habe, aber der Chili bewahrte uns wahrscheinlich vor einer Infektion des Darms, denn die Garküche war alles andere als sauber und stand in der prallen Sonne.
Am Tag unserer Abreise warteten wir nach dem Frühstück auf einen Freund, der uns mit dem Auto abholen und uns zurück nach Stone Town bringen wollte. Da Linda und Eazy einen kleinen Spaziergang am Strand machten, saß ich allein unter einem Sonnensegel. Nach einer Weile beschloss ich, auch ein paar Schritte zu gehen. Ich schlenderte am Meeressaum entlang und bewunderte die Schönheit der seichten Bucht mit ihren unterschiedlichen Türkistönen. Plötzlich kam ein Mann auf mich zu und fragte mich, ob er mich begleiten dürfe. Es war Joseph. Ich ärgerte mich ein wenig, denn ich hatte keine Lust auf seine Gesellschaft. Er war mir irgendwie unangenehm. Und sofort begann er, mir wieder von seinem Café zu erzählen. Er wollte mich überreden, es mir anzuschauen.
„Wir brauchen nur ein paar hundert Meter zu gehen“, sagte er in bestem Deutsch.
Ich wollte nicht dorthin gehen und entschuldigte mich damit, dass ich keine Sonnencreme benutzt hätte und einen Sonnenbrand bekommen würde. Das ließ er nicht gelten.
„Da hinten, wo der Ast liegt, da ist es schon“, beharrte er. „es ist wirklich nicht weit. Und ich habe frische Apfelriemchentorte, die musst du probieren und mir sagen, ob sie so wie in Deutschland schmeckt.“
Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich abgeholt würde und keine Zeit hätte. Doch dann dachte ich, ich dürfe nicht so unfreundlich sein, denn das erwecke den Eindruck, dass ich rassistisch sei. Ich ließ mich also darauf ein, mit Joseph zu seinem Café zu gehen.
Da, wo der Baumstamm lag, bogen wir vom Strand ab und gingen durch einen spärlich mit Bäumen bewachsenen Küstenwald. Ich fühlte mich unbehaglich, denn weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Ich wollte lieber umkehren, doch Joseph beteuerte, dass wir bald da seien. Und wirklich zeigte er ein paar Minuten später auf eine Hütte aus Holz, die einsam zwischen den Bäumen stand. Sie hatte eine recht große umlaufende Holzterrasse und ich dachte gerade, dass dort wahrscheinlich nachmittags Tische und Stühle stehen würden, als mein Blick auf ein Schild fiel, das oben an den Hütte angebracht war. „Love and Peace“ stand dort in einem großen rosa Herz geschrieben. Ein merkwürdiger Name für ein Café, dachte ich. Ich folgte Joseph die wenigen Stufen auf die Terasse hinauf. Er setzte sich sofort auf den Boden und zog einen Zettel aus der Hosentasche. Seine Hose war übrigens sehr zerschlissen, ein Hemd trug er nicht. Augenblicklich begann er, mich mit Fragen nach deutschen Vokabeln zu bombardieren. Sein Ton war dabei recht unverschämt. Ich beantwortete zwei oder drei Fragen und fühlte mich dabei veräppelt. Hatte dieser Tansanier mich hierher gelockt, um sich von mir unterrichten zu lassen? An das Café glaubte ich inzwischen nicht mehr. Zu merkwürdig erschien mir dies alles!
„Ich muss jetzt gehen“, sagte ich.
„Nein, warte, du musst dir noch das Haus ansehen“ sagte Joseph und sprang auf.
Er verschwand durch einen mit einem Tuch verhangenen Eingang und tauchte wenige Sekunden später wieder auf. Er hielt den Vorhang zur Seite und forderte mich auf, einzutreten. Ich ging näher und steckte erst einmal vorsichtig den Kopf hinein. Was ich sah, schockierte mich zutiefst. In der Mitte des Raumes stand ein breites Bett mit bunten Kissen und Decken und an allen Wänden hingen Poster mit nackten dunkelhäutigen Männern. Schlagartig wurde mir klar, dass das angebliche Café eine Art Bordell für Sextouristinnen war. Ich drehte mich um und wollte augenblicklich gehen, als Joseph mich mit einem Satz ansprang, mich in seine Arme zog und mich zu küssen versuchte. Ich wehrte mich so gut ich konnte und befreite mich aus seiner Umklammerung.
„Was hast du? Warum willst du nicht?“,fragte Joseph wütend.
Da erinnerte ich mich, dass ich ihm am Lagerfeuer erzählt hatte, dass ich verheiratet bin. Und da ich weiß, dass für Tansanier die Ehe eine wichtige Sache ist, die respektiert werden muss, schleuderte ich ihm wütend entgegen:
„Ich bin verheiratet und du weißt das! Du musst das respektieren!“
Tatsächlich gab er sich geschlagen und machte ein Zeichen, dass ich verschwinden solle. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und sprang von der Terrasse herunter. Verwirrt suchte ich einen Weg zum Strand zurück, den ich glücklicherweise auch fand. Dort warf ich den Zettel mit seiner Telefonnummer, den er mir auf dem Hinweg in die Hand gedrückt hatte, angewidert in den Sand und trat mit dem Fuß darauf. Schnell ging ich in Richtung unseres „Hotels“ zurück und fühlte, wie mir die Sonne die Haut an Schultern und Nacken verbrannte.
Als ich zurückkam wurde ich bereits von Eazy, Linda uns Mahamoudo erwartet. Die drei hatten sich große Sorgen um mich gemacht, was sie jetzt äußerten. Ich entschuldigte mich dafür, dass ich sie warten lassen hatte und erzählte die Geschichte mit Joseph. Mahamoudo sah mich während meines Bericht sehr merkwürdig an. Ich glaube, er dachte, dass ich mit Joseph gegangen war, um Sex mit ihm zu haben. Das war mir wirklich sehr unangenehm.
Das Apfelriemchenpfeltorte hat seit dem für mich einen unschönen Klang, auch wenn diese eigentlich sehr gut schmeckt.

Text und Fotos: © Xenia Marita Riebe

 

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