Klaus Mann – Der Vulkan – Roman Unter Emigranten (Auszug)

Du glaubst, in Deutschland wird alles besser, wenn die AfD regiert? Dann lies diesen Auszug aus dem Roman „Der Vulkan“ von Klaus Mann.

Paris, am Grab von Martin Korella, einem jungen Dichter und Emigranten aus Berlin.

Die alte Schwalbe – unbeirrbar, immer aufrichtig, das Herz auf dem rechten Fleck, weder durch Tränenbäche noch durch Stirnrunzeln irgend aus dem Konzept zu bringen – die alte Schwalbe, angesichts der kleinen schwarzen Urne ebenso natürlich und ungeniert wie hinter ihrer Theke im Lokal – fährt fort: „Schrecklich oft habe ich ihn auszanken müssen wegen seiner sündhaften Faulheit. Was hätte er nicht alles schaffen können! Aber es lag ihm wohl nichts daran. Er hat viel zu früh aufgehört. Was hätte er noch alles bringen und bedeuten können, für ihn selber und für die Freunde! Er war ja so reich, so reichlich ausgestattet mit schönen Gaben. Aber er hat sich nicht schonen und aufsparen können; er hat furchtbar mit sich gewüstet.
‚Auf was soll man denn warten, für welch kostbare Gelegenheit soll man sich denn aufheben?‘, hat er mir oft gesagt. Ich habe ihn dann zurechtgewiesen: Aber du willst doch Deutschland wiedersehen, Martin, und du wirst in Deutschland noch viel zu tun haben. – Dann hat er nur so sonderbar gelacht, und hat vielleicht mit einer schönen, traurigen Bewegung – mit einer Bewegung, wie sie ihm niemand nachmachen kann – gesagt: ‚Ach, Deutschland!‘ Unser Freund hat ja furchtbar unter allem gelitten, was dort geschieht; es hat ihn beinahe verzehrt – von innen verzehrt – ich weiß es – und es hat sicher seinen Tod beschleunigt.“
„Diese Mörder!“ ruft plötzlich sehr zornig die alte Schwalbe, und sie hebt die Faust – sie reckt ihre sehnige alte Faust über diesem kleinen, schwarzen Behälter, der die Asche ihres liebsten Gastes birgt. „Diese Mörder da drüben! Sie bringen nicht nur die um die Ecke, die sie totschießen und zertrampeln oder erschlagen, sondern auch die vielen anderen, denen sie die Freude am Leben und das Leben selber kaputt machen, die sie erledigen, die sie zerstören, einfach, weil für empfindliche Lungen die Luft nicht zu atmen ist, die von diesen Ungeheuern vergiftet wird!“
Neues Räuspern des Herrn Korella, diesmal heftiger. Ist das eine passende Grabrede?

 

Klaus Manns Roman „Der Vulkan“ entfaltet ein facettenreiches Panorama von Exil-Schicksalen. Er erzählt vom oft bitteren Alltag der aus Nazi-Deutschland Vertriebenen, von ihren politischen Kämpfen und Debatten, von ihrer Not und Verzweiflung, von ihren Hoffnungen.
„Der Vulkan“, den Klaus Mann selbst für sein bestes Buch hielt, ist ein großes poetisches Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit – gerade darum hat das Buch bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt.

Klaus Mann, geboren 1906 in München, begann seine literarische Laufbahn als Enfant terrible in den Jahren der Weimarer Republik. Nach 1933 wurde er ein wichtiger Repräsentant der deutschen Exil-Literatur. Klaus Mann starb 1949 in Cannes an einer Überdosis Schlaftabletten.

Text: Xenia Marita Riebe

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