Reisetagebuch – Südwest Irland – Ballydehob
Mein Mann Bernd und ich verbrachten eine Zeit im kleinen Fischerort Schull in Südwest Irland und erkundeten die Mizen Peninsula.
Tag 18 – 20.11.2017
Wetter: stark bewölkt, trüb – Temperatur 14 Grad – frischer Wind
Portraits: People of the „Wild Atlantic Way“ by Shay Hunston
Heute besuchen wir das kleine Örtchen Ballydehob, das einige Kilometer entfernt von Schull liegt. Wir haben erfahren, dass es hier eine Portrait-Ausstellung gibt, die wir uns anschauen wollen. Schon als wir in den Ort einfahren, sehen wir überrascht die ersten Großaufnahmen. Sie stehen gut sichtbar auf einem kleinen Rasenstück am Ortseingang. Noch wissen wir nicht, was es damit auf sich hat. Wir fahren durch Ballydehob, um in der Nähe der Bucht zu parken. Auf dem kurzen Weg dorthin, fallen mir in vielen Schaufenstern weitere Portraits in Schwarz-Weiß auf und ich verstehe, dass es sich hier um eine Ausstellung im öffentlichen Raum handelt.
Wir steigen aus und vorerst werde ich von der Kunst abgelenkt. Die Natur und die Geschichte ziehen mich in ihren Bann. Ich sehe hinüber zur alten Eisenbahnbrücke, ein elegantes Bauwerk aus Stein, das mit 12 Bögen die Stelle überspannt, wo ein kleiner Fluss in die Ballydehob Bay mündet. Sie ist ein Relikt aus der Zeit (1886 bis 1947) in der eine Schmalspurbahn von Skibbereen über Ballydehob bis nach Schull fuhr. Die Bay ist wegen der Ebbe für ein paar Stunden beinahe trocken gefallen und auf den so entstandenen kleinen Inseln haben sich ein paar Wasservögel eingefunden. Möwen kreisen kreischend in der Luft und lassen sich ab und zu in kleinen Gruppen auf den verbliebenen Wasserflächen nieder. Ich mache ein paar Fotos von der schönen alten Brücke und wir wenden uns dem Ort zu.
Es ist ein hübscher Ort mit den typischen bunten Häusern, in denen es Pubs und Restaurants gibt, aber auch allerlei andere kleine Läden. Und da sehe ich sie wieder, die Portraits der Einwohner von Ballydehob. Sie sind an der Wand der Tankstelle ausgestellt und in vielen Schaufenstern. Die Schwarz-Weiß-Fotografien sind von hervorragender Qualität, die Portraitierten schauen den Betrachter direkt an. Manchmal nachdenklich, ein anderes Mal selbstbewusst. Es sind viele Kreative unter ihnen, wie die Texte unter den Portraits verraten. Beinahe unter jedem Portrait stehen kürzere oder auch längere Texte. Mal sind hier die Lieblingsgedichte der fotografierten Menschen zitiert oder Textelemente aus deren Lieblingsbüchern. Es gibt aber auch sehr persönliche Texte, die etwas darüber aussagen, was die Person bewegt, was sie erreicht hat oder noch erreichen will oder was sie sich für die Zukunft wünscht. Alle Portraits tragen in großen Buchstaben die Namen der Dargestellten.
Der Fotograf bleibt ungenannt. Doch ich finde heraus, dass der Modefotograf Shay Hunston die Idee zu den Portraits hatte. Er ist sehr bekannt und fotografiert normalerweise Modelle in Paris und Mailand. Doch jetzt ist er für viele Monate mit seinem Projekt beschäftigt. Er hat sich vorgenommen, entlang des „Wild Atlantic Way“ Menschen zu fotografieren und die Portraits anschließend in den Schaufenstern der Läden auszustellen. Hierfür folgt er dem 2014 offiziell eröffneten „Wild Atlantic Way“, der über 2500 Kilometer entlang der Westküste Irlands verläuft und somit eine der längsten zusammenhängenden Küstenstraßen der Welt ist. Der „Wild Atlantic Way“ beginnt im Norden Irlands im County Donegal und endet in Kinsale im County Cork in Südirland. Er ist beschildert mit Straßenschildern, die eine weiße Welle auf braunem Grund zeigen.
Shay Hunston ist ein passionierter Fotograf, der viel Herzblut in dieses Fotoprojekt legt. Er fotografiert die Menschen in Irland mit viel Hingabe und Geduld, hört zu, was sie zu sagen haben und nimmt sich selbst vollkommen zurück. Einmütig erzählen alle seine Modelle von seiner Geduld und davon, dass er ihnen die Nervosität vor den Aufnahmen nahm. Ein großartiges Projekt und ein großer Künstler!
Am Ende seiner Arbeit will Shay Hunston ein Buch mit den Portraits herausgeben, dessen Erlös der „Royal National Lifeboat Institution“ zu Gute kommen soll.Ballydehob ist ein bemerkenswerter Ort, ein multikultureller Schmelztiegel kreativer Aktivität und das Zuhause von Malern, Schriftstellern, Musikern, Poeten, Bildhauern und Kunsthandwerkern. Die Gemeinde ermutigt sie, ihre kreativen und künstlerischen Talente zu verfolgen und zu entwickeln. Mit dem Zustrom von Künstlern in den 70er Jahren wurde Ballydehob als das“San Francisco der Mizen Halbinsel“ bekannt. Am Abend wird in vielen Bars traditionelle Folk Musik gespielt und jedes Jahr im Frühling gibt es in Ballydehob ein Musikfestival.
Ballydehob ist eine Inspiration für alle und ein Beispiel dafür, wie eine multikulturelle Gesellschaft in Harmonie leben kann mit Sympathie und Mitgefühl für die Bedürfnisse der anderen.
Wir kommen an Budd`s Retaurant vorbei und sehen dort Mike Watkins mit einem Tee sitzen. Auch er wurde von Shay Hunston portraitiert. Der Künstler traf ihn täglich an einem Tisch vor Budd`s an und empfand große Sympatie für ihn. Unter dem Portrait von Mike Watkins steht folgendes Statement: I have sunshine in my heart and I never, ever, ever get upset about anything. I’m happy every single day and everybody else should be the same, and we should all hug each other and talk to each other. This I have learnt from a lifetime of experience.
Mike grüßt uns und wir gehen an ihm vorbei in das kleine Restaurant. Obwohl es noch früh am Mittag ist, sitzen hier schon eine ganze Reihe Leute. Beinahe alle Tische sind besetzt und es herrscht eine aufgeräumte Atmosphäre. Drei junge Frauen unterhalten sich und lachen häufig. Eine gemischte Gruppe isst gerade und es sind nur vereinzelt Worte von ihnen zu hören. Wir nehmen Platz und werden sofort freundlich bedient. Ein junger Mann bringt uns Wasser und wir bestellen ein Curry mit Reis. Ich schaue mich im Lokal um und sehe einen Mix aus irischer und indischer Dekoration. An den Wänden hängen viele Fotografien und ich rätsele, wo diese aufgenommen wurden. Indien? Südamerika? Tibet? Einige zeigen irische Landschaften, die unverkennbar sind. Unser Essen ist heiß, scharf und sehr schmackhaft. Wir fühlen uns wohl in dem lebendigen, gemütlichen Restaurant und bedauern, dass wir es nicht früher entdeckt haben. Es ist unser vorletzter Tag in Irland.
Zurück auf der Straße fallen mir zwei Zapfsäulen auf, die in der Nähe der Tankstelle etwas verloren an einer Mauer stehen. Hier gibt es Diesel für Traktoren, aber auch für PKW, wie ein Schild anzeigt. Auch das ist Irland. Hier ist manches anders als anderswo.
Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf eine Bronzestatue, die einen berühmten Ringer zeigt, der in Ballydehob lebte. Sie stellt Danno O’Mahony dar, der in Madison Square Gardens 1930 kämpfte.
Dann verlassen wir den kleinen Ort und fahren zurück nach Schull.
Text und Fotos: © Xenia Marita Riebe
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