Reisetagebuch – Südwest Irland – Leacon Signal Tower – Begegnung mit einem Bullen

Leacon Signal Tower, Mizen Peninsula

Mein Mann Bernd und ich verbrachten eine Zeit im kleinen Fischerort Schull in Südwest Irland und erkundeten die Mizen Peninsula.

Tag 16 – 18.11.2017

Wetter: stark bewölkt, trüb – Temperatur 14 Grad – kaum Wind

Endlich wollen wir wissen, was es mit dem Turm auf sich hat, der nicht allzu weit entfernt auf einem 100 Meter hohen Hügel steht und weithin zu sehen ist. Da der Tag recht grau ist und es jeden Moment regnen kann, fahren wir ein Stück mit dem Auto in Richtung Goleen. Nach etwas fünf Kilometern biegen wir links ab und parken vor dem Gatter einer Weide. Wir haben unsere Wanderschuhe angezogen, was auch nötig ist, denn hier sind die schmalen Straßen ziemlich verdreckt. Matsch und Kuhfladen bilden auf der Fahrbahn ein braunes Gemisch. Hier gibt es wahrscheinlich weniger Auto- als Viehverkehr.
Es geht recht steil bergan und je höher wir kommen, desto kräftiger weht der Wind. Ich fröstele ein wenig. Kurz bevor wir den Signalturm erreichen, sehen wir auf einer Weide eine Kuhherde stehen. Mitten unter den Kühen steht ein prächtiger Bulle.
Der Leacon Signal Tower ist einer von vielen Türmen, die 1804 aus Angst vor einer französischen Invasion gebaut wurden. Die Signal Türme bildeten eine Kette entlang der Küste und dienten der schnellen Kommunikation. Hierfür benutzte man bei Tag ein System von Flaggen und schwarzen Kugeln, die an einem Mast hochgezogen wurden. Nachts signalisierte man mit Licht.
Wir nähern uns dem Turm und stellen fest, dass hier eine breite Einfahrt angelegt wurde. Neben dem Turm dreht ein kleineres Windrad. Scheinbar ist der Turm bewohnt und der Eigentümer versorgt sich über das Windrad mit Strom. Als wir ein Stück die Einfahrt hochgehen, werden wir von einem bellenden Hund vertrieben. Wir sind uns einig, so fantastisch die Aussicht aus den vier Erkern sein mag, die hoch oben am Turm angebaut sind, wir möchten nicht in diesem alten Gebäude leben. Wie kalt muss es dort sein und wie muss der Wind hier bei Sturm um den Turm heulen. Ich mache noch schnell ein paar Fotos und wir gehen zurück.

Bulle auf der Weide, Schull, Irland

Am Auto angekommen, beschließen wir, noch ein wenig zu gehen. Wir wenden uns einer sehr schmalen Straße zu und gehen drauflos. Hier stehen nur vereinzelt Häuser, was nicht wundert, denn hier weht es sicher häufig sehr unangenehm. Dann kommen wir in eine Senke und passieren einen dunklen Bauernhof. Feucht und verwittert liegt das alte Gebäude zwischen dichten Nadelbäumen. Ein dunkles Loch, ohne Anzeichen von Leben. Doch dass der Hof noch bewirtschaftet ist, sieht man an einem alten Traktor, der in der Einfahrt steht und an den Spuren der Kühe. Sicher stehen diese tagsüber irgendwo auf der Weide und werden abends in den Stall gebracht.

Kühe auf der Straße, Irland

Begegnung mit einer Kuhherde – „Be careful! The first one is a bull!“

Nach etwa einer halben Stunde sind wir genug gegangen und machen uns auf den Rückweg. Auf halbem Weg hören wir mit einem Mal aufgeregtes Muhen, das immer näher kommt. Und als wir um eine Kurve biegen, sehen wir eine Kuhherde auf uns zukommen. Vorn weg geht der Bauer, der die Tiere mit vereinzelten „Ho“ und „Hey“-Rufen zum weitergehen motiviert. Ausgerechnet an der Stelle, an der wir auf die Herde treffen, ist die Straße sehr schmal und wird an einer Seite von einer Mauer begrenzt. An der anderen Straßenseite befindet sich der übliche Wall, der mit Ginster und anderem Gesträuch bewachsen ist. Wir schauen uns um, aber es gibt keine Möglichkeit auszuweichen. Also stellen wir uns mit den Rücken dicht an die Mauer und warten darauf, dass die Kuhherde an uns vorüberzieht. Als der Bauer, er ist ein freundlicher, gutaussehender junger Mann, in Rufweite kommt, ruft er uns etwas zu. Zuerst verstehe ich nicht ganz, doch dann erschließen sich mir seine Worte, die er mit starkem irischen Akzent gerufen hat. „Be careful! The first one is a bull!“

Oh nein, auch das noch! Und schon sehe ich den großen Bullen auf uns zu kommen. Er hat einen mächtigen Kopf mit einer starken Stirn, die er beim Gehen gebeugt hält. In der Nase trägt er einen schweren Eisenring. Ich drücke mich noch dichter an die Mauer und fühle mich sehr unwohl, als das große kräftige Tier dicht an uns vorbeigeht. Als er uns passiert hat, atme ich auf. Und schon ärgere ich mich, dass ich kein Foto von dem Bullen gemacht habe. Aber es kommt ja noch die Herde Kühe. Schnell hole ich mein Handy aus der Tasche und es gelingen mir ein paar Fotos, ehe die Herde an uns vorbeigezogen ist. Jetzt hole ich erst einmal tief Luft. Was hier in Irland für jedes Kind zum Alltag gehört, ist für uns Städter ziemlich aufregend. Vor allem der Bulle war mir unheimlich, dabei erinnere ich mich auf einmal, dass ich ihn vorhin noch friedlich auf der Weide grasen sah. Doch es ist etwas ganz anderes, einen Bullen auf der Weide zu sehen, als ihm direkt und ungeschützt ins Auge zu sehen.
Glücklich am Auto zurück, steigen wir ein und fahren noch hinunter zu einer einsamen Bay. Hier gibt es eine Reihe von neuen, recht protzigen Häusern, viele davon mit eigenem Bootssteg. Mir wird bewusst, wie nah hier arm und reich zusammenleben. Hier die Bauern mit ihrem Vieh, die die alten Höfe bewirtschaften, die wir oft an unserem Weg sehen, dort die reichen Iren und Engländer, die sich prächtige Häuser bauen, nur für ein paar Ferienwochen im Jahr. Und ich denke, dass man an den zum Teil recht verfallen wirkenden Bauernhöfen sehen kann, wie arm Irland einmal war.
Wir fahren zurück nach Schull und freuen uns schon auf den Abend, denn wir sind bei unseren Freunden zum Essen eingeladen.

Text und Fotos: © Xenia Marita Riebe

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Kommentare werden durch den WP-SpamShield Spam Blocker geschützt