Antarktis – Allein unter 100.000 Pinguinen
Vor einiger Zeit im Südsommer bot sich mir die Gelegenheit an Bord eines russischen Versorgungsschiffs einige antarktische Forschungsstationen zu besuchen. Unweit der argentinischen Station “Esperanza” vor der antarktischen Halbinsel liegt Paulet Island, etwa 2 x 3km groß, der felsige Untergrund ist von Januar bis März schneefrei. Hier sollte es – so berichteten mir Biologen – eine riesige Kolonie von Adelie-Pinguinen geben, die alljährlich dieses eisfreie Gebiet für die Aufzucht ihrer Jungen nutzen. Als dann auch noch von einigen englischen Biologen das verlockende Angebot kam, die Insel per Zodiak (Schlauchboot) zu besuchen, konnte ich nicht widerstehen, mich dieser Gruppe anzuschließen. Es sollte ein unvergessliches Erlebnis werden.
Wir waren noch ca 2 Meilen von der Insel entfernt und konnten die etwa 300m hohe zentrale Erhebung bei klarem Wetter gut erkennen, doch irgendwelche Lebewesen sahen wir nicht. Doch dann dieser Geruch! Nicht unbedingt Gestank, jedoch sehr scharf, an frisch gedüngte Felder erinnernd, nahm uns dieser Geruch fast den Atem. Wir drehten bei und versuchten, die Insel von der Luvseite anzusteuern, so wurde die Luft allmählich wieder reiner und das Atmen leichter.
Das Anlanden war nicht ganz so einfach, einmal wegen der vielen Eisschollen und zum anderen wegen der vorgelagerten Klippen. Die günstigste Landestelle, die sich uns bot, war eine kleine, fast eisfreie Bucht mit jedoch recht steil abfallendem Ufer. Nach einigen gewagten Sprüngen erreichten alle schließlich – mehr oder weniger nass – das Ufer. Das Zodiak wurde festgezurrt, eine Zeit für die Abfahrt vereinbart, die Biologen machten sich an die Arbeit – im Wesentlichen Bestandsaufnahme- und ich machte mich allein auf den Weg ins Innere der Insel. Immer noch nichts zu sehen von den Pinguinen, doch dafür um so mehr zu hören! Ein vielstimmiges Geschnatter und Gefiepse schien von oberhalb unserer Landungsstelle zu kommen. Ich stieg mit Mühen einen steilen, rutschigen Hang hinauf und erreichte endlich ein höhergelegenes Felsplateau, umging einige riesige Felsbrocken und hatte mit einmal einen freien Blick über die Insel. Was ich dort sah, hörte und roch war unbeschreiblich. Tausende von Adelie-Pinguin-Küken standen dicht an dicht aufgeregt fiepend oder auch geduldig wartend. Dazwischen die Pinguin-Eltern, die einen den Kropf voll Krill auf der Suche nach ihren Sprößlingen, andere beim Füttern unter wildem Gezänk der Küken und schließlich wieder andere auf dem Weg zurück ins Meer, um Futter für die nächste Mahlzeit zu suchen.
Vorsichtig bewegte ich mich auf die Menge zu in der Hoffnung, keine Panik auszulösen. Zu meiner Überraschung wurde meine Anwesenheit völlig ignoriert, die Jungvögel sahen mich wohl als fremden Pinguin an, von dem keine Gefahr ausging und von dem vor allem kein Futter zu erwarten war. So konnte ich mitten in der Menge sitzend einige interessante Beobachtungen machen und das Geschehen im Video festhalten.
Vor allem interessierte mich, wie die mit Krill beladenen aus dem Meer zurückkehrenden Eltern inmitten der riesigen Kolonie ihre Kinder (meist zwei Küken) finden. Wie mir die Biologen erklärten, geschieht dies im Wesentlichen über akustische Signale. So verfolgte ich mit der Kamera einen Rückkehrer, der scheinbar zielgerichtet durch die Menge watschelte. Unterwegs wurde er mehrfach von Küken bedrängt, die sich wohl als die seinen ausgaben, aber jedes Mal energisch abgewiesen wurden. Nach etwa 5 Minuten hatte der Pinguin-Papa tatsächlich seine beiden hungrigen Küken gefunden und es begann eine wilde Fütterungsprozedur. Dabei würgt das Elterntier das Futter nach und nach heraus direkt in die weit geöffneten Schnäbel der Jungtiere. Diese kämpfen ständig und mit allen Mitteln um einen Platz am Schnabel des Fütternden. Auch nachdem der letzte Krümel Futter herausgewürgt ist, geben die Kleinen keine Ruhe und bedrängen Papa Pinguin mittels heftigen Schnabelstupfens unter durchdringendem Gefiepe. Der Arme kann sich dem nur durch Flucht entziehen und wird auch dann noch eine ganze Weile von den immer wieder auf den Bauch fallenden tollpatschig laufenden Youngstern verfolgt. Endlich wieder im Wasser sucht der Erschöpfte erst einmal eine Eisscholle auf, um sich zusammen mit anderen Leidensgenossen, ein wenig zu erholen.
Für die zurückbleibenden Küken beginnt nun wieder eine stundenlange Wartezeit, die sie oft dicht aneinander gedrängt stoisch ertragen. Ihr größter Feind nun ist die Skua, eine Raubmöwe, die sich in aller Ruhe ihr Opfer aussuchen kann. Der einzige “Schutz” ist nur die große Zahl der potenziellen Opfer.
Dieses faszinierende Naturschauspiel beschäftigte mich so, dass ich die Kälte kaum spürte, die sich mit dem aufkommenden Wind schnell verstärkte. Ich ging dann doch hinunter zum Meer und fand unsere Anlegestelle belagert von einem Dutzend Pelzrobben, die träge auf dem Schotter lagen und ebenso wie die Adelie-Pinguine keine Notiz von mir nahmen, auch nicht als ich hautnah zwischen ihnen hindurch gehen musste, um zum Zodiak zu gelangen.
Text, Fotos, Video; Bernd Riebe
Schreibe einen Kommentar