„Wat doen all de buitenlanders hier?“

Hund, Ausländer

Neulich waren wir in Belgien am Strand. Es war ein warmer Sommertag. Der Himmel war blau und einige weiße Wölkchen schwebten sachte in der Ferne. Die Nordsee lag ruhig wie ein Spiegel und in dem kleinen Wäldchen in den Dünen sangen die Vögel. Schmetterlinge taumelten gelassen über den wenigen Blüten der Strandgewächse. Ein Idyll, wirst du jetzt denken. Ja, es hätte ein Idyll sein können.

Seit langem begegnen Bernd und ich dort am Strand einem Mann aus Surinam, der täglich entlang des Flutsaums läuft. Er betreibt dort seinen Sport, obwohl er ein Bein ein wenig nachzieht. Er läuft recht gut und schnell. Immer wenn wir ihn treffen, grüßen wir ihn und häufig bleibt er kurz stehen, um ein paar Worte mit uns zu wechseln. Er ist ein freundlicher, offener junger Mann.

Neulich sahen wir ihn wieder über den Strand joggen. Er lief wie immer am Flutsaum auf Wenduine zu. Wir wanderten in entgegengesetzter Richtung am Rand der Dünen in Richtung De Haan. Da der Strand an der belgischen Nordseeküste sehr breit ist – ca. 200 Meter – war zwischen dem Jogger und uns noch genügend Platz für ein älteres Ehepaar mit einem Schäferhund, das ebenfalls in Richtung De Haan ging. Als wir diese so weit eingeholt hatten, dass wir mit ihnen auf einer Höhe waren, hörten wir sie laut schimpfen: „Wat doen all de buitenlanders hier? Nu joggen ze ook nog op ons strand. De Moluken zullen daar heen gaan, war ze vandaan komen…“ usw. Das sollte heißen: „Wir sind Nationalisten und wollen keine Ausländer an unserem Strand.“

Bernd und ich wunderten uns sehr. Noch mehr überraschte, ja, entsetzte uns aber, als plötzlich deutlich wurde, dass die Leute ihren Hund auf den harmlosen Jogger hetzen wollten.

„Laat maar de hond los“, sagte der Mann und die Frau löste den Karabinerhaken am Halsband des Schäferhund und rief: „Vang hem, Berus!“

Und schon rannte der Hund los, stürzte sich auf den harmlosen Jogger und verletzte ihn mit seinen Krallen an der nackten Brust. Die Kratzer und Striemen leuchteten sofort dunkelrot auf. Der Jogger setzte sich zur Wehr und scheuchte den Hund schließlich zu seinem Frauchen zurück, das ihn auch wieder an die Leine legte.

Gleich nachdem der Hund losgerannt war, lief ich auf das Ehepaar zu und rief sie in meinem besten Niederländisch an. Ich fragte sie, was das alles solle, was der Jogger ihnen denn getan habe und forderte sie auf, den Hund sofort zurückzupfeifen. Als Antwort bekam ich zuhören: „U hoort hier ook niet! Ga terug naar Holland!“ Sie dachte wohl, dass wir Niederländer seien. Dann drohte sie mir an, den Hund auch auf mich zu hetzen. Ich bekam einen großen Schrecken, denn ich habe Angst vor Hunden und ganz besonders vor Schäferhunden. Diese Angst stammt aus Kindertagen, aber das ist eine andere Geschichte. Ich drehte mich zu Bernd um und rief ihm zu, er solle einen Knüppel suchen. Gleichzeitig lief ich auf ihn zu, um mich von ihm beschützen zu lassen. Die Frau mit dem Schäferhund an der Leine folgte mir. Sie war klein und dick und konnte deshalb nicht so schnell laufen wie ich. Auch erschwerte der Sand ihr das Vorankommen. Ich war also schon bei Bernd am Rand der Dünen angekommen und dieser hatte bereits einen ziemlich dicken Ast gefunden, der als Strandgut angeschwemmt worden war. Jetzt fühlte ich mich schon erheblich sicherer. Als die Frau laut schimpfend vor mich trat, sagte ich: „Ik will je ogen zien, als je met me praat. Trek de sonnebril af!“ Die Frau reagierte nicht und ich fühlte, wie in mir die Wut hochstieg. Impulsiv, wie ich nun einmal bin, griff ich nach ihrer Sonnenbrille und nahm sie ihr vom Gesicht. Berus, der Hund, sah dies und sprang in die Höhe, als wolle er nach der Brille schnappen. Ich hob meine Hände hoch über den Kopf und gab die Brille immer wieder von einer Hand zur andern. Der Schäferhund wurde immer verrückter, umkreiste die Frau und umwickelte sie dabei mit seiner Leine. Einer Eingebung folgend, rief ich ihm zu: „Hier hol sie dir!“, und warf die Sonnenbrille in hohem Bogen in die Dünen. Das ließ Berus sich nicht zweimal sagen. Er spurtete los und ignorierte dabei, dass sein rundes kleines Frauchen durch die Leine an ihn gefesselt war. Mit einem Ruck hob er die Frau aus den Strandlatschen und schleifte sie hinter sich her.

„Blijf staan, Berus!“, rief die Nationalistin verzweifelt. Aber Berus schien nur an der Sonnenbrille interessiert zu sein, die er unbedingt holen wollte. Das Gejammer seines Frauchens ignorierte er. Er zog sie einfach weiter, bis diese über und über mit Sand paniert war.

Wir drehten uns lachend um und gingen in Richtung De Haan weiter. Der Jogger war inzwischen nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne. Seine Kratzer würden verheilen. Aber was war mit den Kratzern auf seiner Seele?

 

Text und Zeichnung: © Xenia Marita Riebe

1 Kommentar zu „„Wat doen all de buitenlanders hier?“

  1. Heftig! 🙁 Die Dummen sterben eben nicht aus! Gut, dass es
    immer noch Menschen gibt, die dann nicht wegschauen und sich beherzt einsetzen <3 !!!

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