Aufruf zur Bildungsrevolution – Hat Precht Recht?

Buchbesprechung

Aufruf zur Bildungsrevolution – Hat Precht Recht?

Richard David Precht: Anna, die Schule und der liebe Got

 

Der Titel ist entlehnt aus einer Anekdote des bekannten englischen Pädagogen und Entertainers Ken Robinson:

…it’s about a little girl in a drawing lesson..she usually never pays attention, in this lesson, however, she did. The teacher went over to her and asked, “What are you drawing?” The girl said, “I’m drawing a picture of God” and the teacher said, “But nobody knows what God looks like!”and the girl said, “They will in a minute” Wenn Sie Ken Robinsons hochinteressanten Vorträgen im Original folgen können (YouTube ), ist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zurückzuführen auf einen in der Schule genossenen Englischunterricht, vielmehr haben einige außerschulische Lernprozesse hier nachgeholfen. Schule tötet Kreativität! Das ist hier wie bei Richard David Precht eine zentrale Botschaft.

Die Glaubwürdigkeit dieses Buches leidet ein wenig unter der Popularität des Bestseller-Autors mit seiner medialen Präsenz, seiner Eloquenz, seiner smarten Erscheinung, aber auch darunter, dass oberlehrerhaft Missstände aufgezeigt werden, die längst bekannt sind und Lösungen angeboten werden, die in dieser Gesellschaft kaum umgesetzt werden können.

Die vielen kritischen Rezensionen auf den Punkt bringt Peter Praschl, er schreibt in der WELT unter der Überschrift: Dieses Buch ist ein sinnloses Ärgernis, Herr Precht!

Richard David Precht hat ein Buch geschrieben. Es heißt “Anna, die Schule und der liebe Gott” und wird ein Bestseller werden. Der Autor wird in Talkshows sitzen, um seine Thesen zu verfechten, ein paar andere, die man auch oft im Fernsehen gesehen hat, werden sie relativieren, bestreiten, für weltfremd, viel zu radikal erklären. Es wird also sein wie bei jedem Buch, von dem man sagt, es sorge für Gedankenanstöße, löse eine mehr als überfällige Diskussion aus oder nehme eine leider ein wenig eingeschlafene Debatte wieder auf.

Aber das stimmt alles nicht. Prechts Buch ist sinnlos, überflüssig, ein 352 Seiten langes Ärgernis. Man braucht es nicht. Es macht einen nicht glücklicher, weiser, fürs Leben gewitzter, schon gar nicht wenn man Kinder hat, die noch nicht zur Schule gehen. Wenn man Kinder hat, die noch nicht zur Schule gehen, sollte man mit ihnen Eis essen, Tipis bauen, Seifenblasen fangen, verreisen oder sonst etwas tun, das sie mit Kinderglück und Elternliebe gegen die Erwachsenenwelt impft, die man ihnen doch nicht wird ersparen können. Und Prechts Buch unbedingt nicht lesen.

Liest man die Kundenrezensionen bei amazon.de so lassen sich deutlich zwei Lager erkennen, man ist entweder ganz und gar dafür (5 Sterne) oder – siehe oben – voll und ganz dagegen (1 Sternchen) Die Gegner bemängeln vor allem einen überzogenen Alarmismus, eine Bildungskatastrophe, wie Precht sie beschreibt, gebe es in diesem Land nicht, seine Thesen seien alle nicht neu, viele über 100 Jahre alt, ein bisschen Montessori, etwas Steiner, eine Prise Glockseeschule, ein Löffel O’Neills Summerhill, und das Gänze blumig und publikumswirksam aufbereitet. (Ole Sander) Vom Schreibtischrevolutionär ist die Rede, der Autor hat keine Ahnung von aktueller (oder jeglicher) Unterrichtsforschung und alles, was in diesem Buch als mögliche Verbesserungen des Bildungssystems verkauft wird, sind reformpädagogische Allgemeinplätze, (Benedikt Wisniewski). Das Buch sei überflüssig: Wir leben in einer Zeit der Verunsicherungen, die durch Talkshowstars und selbsternannte Ratgeber vermehrt werden. Dieses Buch wird sicher ein Bestseller aus diesem Grund. Doch es ist schwer vorstellbar, dass es einem einzigen Kind, Lehrer oder Elternpaar in irgendeiner Weise behilflich sein könnte. (Salman Ansari)

Im Lager der Befürworter überwiegen die Stimmen derer, die Prechts Analyse des Bildungssystems als richtig einschätzen und die das Buch vor allem als Anregung zur Diskussion sehen mit dem Ziel, unsere Schule endlich neu zu gestalten: Monika Walter fasst treffend zusammen:

Das Buch lässt sich gut lesen und bietet eine treffende Analyse des deutschen Bildungssystems. Weder Eltern noch Lehrer sollten das jetzige System weiterhin als gegeben hinnehmen und sich einfach mit dem Status quo abfinden. Es geht um unsere Kinder. Das Lernen im Gleichschritt entmutigt sie. Setzen wir uns alle für eine bessere Schule ein! Das Buch rüttelt auf, hoffentlich denken immer mehr Menschen über das Thema nach.

Gemäß dem Thema darf ich das vielgeschmähte Zensurensystem bemühen und bewerte das Buch mit GUT. Es ist ein wichtiges Buch, mehr als ein bloßer Denkanstoß, der Autor hat die heutige Bildungssituation treffend analysiert und er zeigt Wege auf, die zu einer völlig anderen besseren Schule führen können. Prechts Sprache ist entsprechend der mutigen Zielsetzung, eine Bildungsrevolution zu fordern meist polarisierend, zum Teil docere et probare, also belehrend argumentierend, selten differenziert und abwägend. Dies mag von vielen kritisch gesehen werden, oberlehrerhaft und besserwisserisch, wie es in einigen Rezensionen heißt, doch als Mittel zum Zweck sicher legitim. Zum SEHR GUT reicht es nicht, da der Autor keine wirklich neue Idee zur Umgestaltung unseres Bildungssystems einbringt.

Precht gibt im ersten Teil seines Werks eine umfassende Analyse unseres Bildungssystem. Er zeigt die geschichtliche Entwicklung seit Humboldt auf, streift die Reformpädagogik Pestalozzis und Kerschensteiners, erwähnt Maria Montessori (das Kind als Baumeister seiner selbst) um dann das derzeitige System zu sezieren. Sein vernichtendes Urteil fasst er hier zusammen:

Unser Schulsystem selektiert Grundschüler früher als fast alle anderen OECD Länder und schickt dabei zehnjährige auf Hauptschulen, deren soziales Klima sie im Eiltempo nach unten zieht; sieben bis acht Prozent eines jeden Schülerjahrgangs verlassen die Schule ohne Abschluss und belasten später die Sozialkassen; der wichtigste Selektionsfaktor ist das Elternhaus und nicht die Begabung; unsere Schulen zwingen Kinder und Jugendliche zum Bulimie-Lernen, von dem am Ende kaum etwas als Bildung übrig bleibt; statt individuellem Lernen müssen unsere Kinder im Gleichschritt durch die Schule gehen, die einen sind überfordert, die anderen unterfordert; eine wirklich zureichende Förderung findet nicht statt; die Schwachen werden aussortiert, die starken nicht gefordert; die Taktung des Unterrichts in Fünfundvierzig-Minuten-Einheiten widerspricht allen Erkenntnissen der Lernpsychologie; statt in für das Leben bedeutsamen Projekten lernen unsere Kinder Fächer, die es als solche eigentlich gar nicht gibt…unser Notensystem zerstört die intrinsische Motivation und fördert den Korrumpierungseffekt.

Einer Analyse, der kaum ein mit Bildung befasster Mensch widersprechen kann, ebenso wenig wie der vorhergehenden historischen Betrachtung der Entwicklung unseres Bildungswesen. Nur, hier erfährt der mit Bildung befasste Mensch nichts Neues. Alles schon gesagt, beschrieben, diskutiert. Also ein überflüssiges Buch, ohne Belang für die realen Belange der Schule? Ich denke nicht. Precht versteht es wie kaum jemand vor ihm, die Schwächen unseres Bildungssystems pointiert aufzuzeigen und überzeugend darzustellen. Dabei bedient er sich gekonnt aller rethorischen Mittel, er übertreibt, um zu verdeutlichen, er bewegt sich auf mehreren stilistischen Ebenen, von wissenschaftlich analytisch bis Stammtischgerede reicht sein Repertoire. Doch der Zweck heiligt die Mittel, Precht erreicht ein großes Publikum, eine mediale Aufmerksamkeit, die keine wissenschaftliche Abhandlung eines Namenlosen je erreichen würde.

Wer im zweiten Teil des Buches nun neue revolutionäre Ideen erwartet, die unsere darbende Bildungslandschaft in ein blühendes Paradies verwandelt, mit individuell gebildeten, selbstbestimmten teamfähigen Schulabgängern mit höchstmöglicher Potenzialentfaltung, sieht sich zwar enttäuscht, jedoch auch hier gibt es einige gute Anregungen zur dringend nötigen Reform (wenn auch nicht Revolution) unseres Bildungswesens. Washburys Konzept des Mastery Learning , vor fast 100 Jahren entwickelt und umgesetzt, sieht Precht zu Recht an als übertragbar auf unser heutiges System. Die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes gemäß seiner Anlagen und Fähigkeiten, die umfassende Bildung an Geist, Körper und Seele, die Freiheit, Inhalte und Lernziele selbst bestimmen zu können. Dieses bewährte Konzept, über viele Jahre erfolgreich praktiziert, wurde überrollt von Skinners unseligen Behaviorismus-Theorien und seiner absurden Vorstellung vom kindlichen Lernen auf der Grundlage von Reiz-Reaktion- Prozessen ähnlich den Pawlow’schen Hunden. Wieder ein Beispiel dafür, wie bewährte pädagogische Ideen in kurzer Zeit korrumpiert werden können durch vorschnell übernommene auf reiner Empirie basierende Konzepte mit ihren angeblich quantifizierbaren Ergebnissen und „operationalisierbaren“ Lernzielen. Ich erinnere mich noch mit Schaudern an meine Lehrerausbildung und daran wie Skinners Behaviorismus-Welle in kürzester Zeit über den Atlantik schwappte und hier ungeprüft begierig von „progressiven“ Seminarleitern propagiert wurde.

Die ausgezeichnete Lernsoftware und die meist überzeugenden Videolektionen der Khan Akademie sowie Mitras Hole-in-the-Wall Projekt scheinen Prechts Thesen zu bestätigen:

Minimally Invasive Education (M.I.E.) in school asserts there are many ways to study and learn. It argues that learning is a process you do, not a process that is done to you.(Steve Newman)

Gute Lernsoftware und klug aufbereitete Videos können diese ganz individuellen Lernprozesse im Kind sicher eher in Gang setzen als der übliche Unterricht im Klassenverband. Doch die optimale „Potenzialentfaltung“ wie sie Precht vorschwebt, erreicht das Kind auch mit der besten Selbstlernmethode nicht. Mittels M.I.E. wird Lernen lediglich im Bereich des Kognitiven möglich, wesentliche Elemente der Bildung wie Kreativität, Verantwortungsgefühl, unkonventionelles Denken, soziales Verhalten etc, bleiben unberührt.

Hier nun tritt der Lehrer auf den Plan, dessen zentrale Rolle in unserem Bildungssystem Precht ausführlich beschreibt. Die Ausführungen mit der zentralen Botschaft: “Auf den Lehrer kommt es an!“ im Kapitel „Lehrer als Beruf“ halte ich für die stärksten des ganzes Buches. Auch hier wieder gar nichts Neues, nur meisterhaft auf den Punkt gebracht. Ausgehend von dem berühmten schwedischen Experiment, in dem wenige „Superlehrer“ eine ganz schlechte Klasse 9 innerhalb von 5 Monaten zu glänzenden Leistungen bewegt, heißt es: Auf den Lehrer kommt es an! Während gute Lehrer auch aus vermeintlich schlechten Schülern das Beste herausholen, so verbauen schlechte Lehrer vielen Kindern die Zukunft oder vermiesen jemandem zumindest auf ewig das Interesse an bestimmten Wissensgebieten

Hier spricht der Autor offen ein Problem an, ohne die übliche pauschale Lehrerschelte zu bemühen, es gibt viel zu wenige gute Lehrer. Mit meinen über 30 „Lehrjahren“ an öffentlichen Schulen kann ich dies nur bestätigen. Für die Beurteilung eines Kollegen braucht es keine offizielle Lehrprobe, die Äußerungen und Kommentare von den betroffenen Schülern auf dem Pausenhof oder den Klassenfluren geben hinreichend Aufschluss.

Gewinn ihre Herzen, und du kannst mit ihnen tanzen sagt Stavros Louca, der Mathematiklehrer und Teilnehmer am schwedischen Experiment und bringt es auf den Punkt. Ein guter Lehrer gewinnt das Vertrauen seiner Schüler, er ist offen für ihre ganz individuellen Befindlichkeiten, er hat Verständnis für ihre Schwächen, ist gerecht und hat Humor..eine Stunde in der nicht gelacht wird, ist misslungen, er ist eine starke Persönlichkeit und überzeugt (auch) durch ein fundiertes Fachwissen.

Dies sind Eigenschaften, die sich natürlich durch kein Hochschulstudium vermitteln lassen. Auch Prechts Vorschläge zur Lehrerfortbildung erscheinen mir wenig hilfreich. Er schlägt eine eigenverantwortliche Weiterbildung von Lehrern etwa in Form eines Sabbaticals vor. So könnten Lehrer alle 4 Jahre für 6 Monate freigestellt werden für ein privates Forschungsvorhaben z.B. nach Australien zu gehen, um mehr über das Leben der Aborigines zu erfahren…ein halbes Jahr an einem Buch über ein eigenes Interessengebiet arbeiten..

Schön für die interessierten Kollegen, doch sind dies geeignete Schritte hin zu einem guten Lehrer? Auch das vorgeschlagene Coaching in Supervision und Selbsterfahrungsgruppen dürfte das Problem nicht lösen. Richtig dagegen halte ich den Vorschlag, angehende Lehrer viel stärker und viel früher in der Ausbildung als bisher mit der Praxis des Unterrichtens vertraut zu machen. Zur Beurteilung der Lehrbefähigung sollten auch Schüler und Eltern herangezogen werden. Für ganz wichtig halte ich es, wenn Lehrer vor Aufnahme ihrer Lehrtätigkeit außerhalb von Schule praktisch tätig waren. So war es für mich von Vorteil einige Jahre als Facharbeiter in der chemischen Industrie tätig gewesen zu sein, ich hatte so eine sehr viel bessere Position als Lehrer für Chemie bei meinen Schülern als die Kollegen mit dem klassischen Bildungsgang Schüler – Studium – Lehrer.

Die Bedeutung der Rolle des Lehrers in unseren Regelschulen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die besondere Verantwortung gegenüber den Schülern wird insbesondere dann deutlich, wenn es um Weichenstellungen für das Leben nach der Schule geht. Richtig erkannte Stärken oder Schwächen der ganz individuellen Persönlichkeitsstruktur eines Schüler können im Dialog Lehrer – Schüler zu sinnvollen Entscheidungen hinsichtlich der Berufskarriere führen. Oft sind sind es auch nur Bemerkungen oder kurze Ansprachen im Unterricht, die, wenn sie dann auf fruchtbaren Boden fallen, die Grundlage für wichtige Entscheidungen sind. Oft ist sich der Unterrichtende gar nicht bewusst, was er da bewirkt – oder anrichtet. Ich bin immer wieder überrascht, von ehemaligen Schülern zu hören, dass eine bestimmte Bemerkung meinerseits ihnen auch nach vielen Jahren noch bewusst ist und ein bestimmtes Gespräch nicht ohne Einfluss auf ihr Leben geblieben ist. Hier wird deutlich, dass Unterrichten eben kein Job sein kann, den man nach ein paar Semestern Ausbildung und einem Referendar-Jahr mit einem Dutzend „Lehrproben“ ein Berufsleben lang macht.

Mit Lehrern, die eigentlich besser keine wären, haben natürlich nicht nur Schüler ein Problem. Ist die menschliche Distanz zwischen ihnen und dem „Schülermaterial“ zu groß, geschieht das, was der Gymnasiallehrer und Lehrerausbilder Michael Felten laut Precht anführt: Kein Wunder, wenn auffällig viele Pädagogen vorzeitig verhärten, ihre Arbeit nur noch mit zynischem Unterton verrichten, womöglich gar resignieren und ins Burn-out geraten

Nur dass Felten die Ursachen dieser Reaktionen bei den besserwisserischen Kritikern sieht, die auf die armen Schulmeister einprügeln ohne natürlich die geringste Ahnung vom Unterrichten zu haben. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sieht auch Precht nicht. Immerhin ist die Dominanz des Lehrers in Prechts revolutionierter Schule bedeutend geringer. Coaching, Team-Teaching, Selbstlernprogramme schwächen den Einfluss des einzelnen Lehrers. Der Lehrer als begleitender Coach, Ratgeber und Helfer in sebstbestimmten Lernprozessen könnte für Schüler wie Unterrichtende von Nutzen sein.

Erstaunlich allerdings, dass in der Liste der von Precht angeführten Reformern und propagierten Schulen die eigentlichen Bahnbrecher für selbstbestimmtes, individuelles, freies Lernen an demokratischen Schulen fehlen: A.S. Neill mit seiner Summerhill School in England, die Sudbury School in Massachusetts und nicht zuletzt die sog. Freien Schulen in Deutschland, z.B. die Freie Leipziger Schule, die Freie Aktive Schule Stuttgart.

Die Konzepte dieser Schulen enthalten so gut wie alle Inhalte, die Precht am Schluss des Buches in seinem Forderungskatalog (zehn Prinzipien) aufführt.

So lesen wir in A.S.Neills weltbekannter Schrift A Radical Approach to Child Rearing, erschienen bei Rowohlt 1969 unter dem recht unpassenden Titel Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung:

Es wird Zeit, die Vorstellungen. die unsere Schulen von der Arbeit ihrer Schüler haben, in Frage zu stellen. Es wird als selbstverständlich angesehen, dass jedes Kind in Mathematik, Geschichte, Erdkunde, Naturwissenschaften, ein bisschen in Kunst und natürlich in Literatur unterrichtet werden muss. Man sollte endlich einsehen, dass das Durchschnittskind an all diesen Fächer kein großes Interesse hat. Das erweist sich bei jedem Schüler, der nach Summerhill kommt, von neuem. Wenn er hört, dass bei uns niemand zu irgendetwas gezwungen wird, ruft er: „Hurra, endlich Schluss mit den langweiligen Rechenaufgaben!“…Schöpferische Menschen lernen von selbst, was sie lernen möchten, um die Werkzeuge zu haben, nach denen ihre Originalität und ihre Genialität verlangt.. Es läßt sich gar nicht ermessen, wieviel schöpferische Kraft im Schulzimmer, wo es nur ums Lernen geht, getötet wird….Bei Vorträgen für Studenten…bin ich oft über die Unreife dieser mit nutzlosem Wissen vollgepropften jungen Menschen bestürzt…In ihren Lehrbüchern steht nichts vom Charakter des Menschen, von Liebe, von Freiheit und Selbstbestimmung. So geht das immer weiter: Kopf und Herz bleiben voneinander getrennt; denn Bücherwissen ist der einzige Maßstab dieses Bildungssystems.

Bei der Freien Aktiven Schule Stuttgart heißt es:

Angebote statt Unterricht

Der Schulalltag ist strukturiert durch eine Vielzahl von Angeboten mit verbindlichen Zeiteinheiten im Wochenlauf. Angebote finden statt auf Betreiben und Wunsch der Kinder oder auch auf Anregung seitens der Erwachsenen und ihren Kompetenzen.

Die Angebote finden sowohl im Schulalltag statt (Sprachen, Kulturtechniken, Kreativitätswerkstatt, Holzwerkstatt, Naturwissenschaften…), als auch regelmäßig extern durch 2-wöchige Ausflüge in die verschiedensten Bereiche.

Die Vielfalt der Angebote wird durch die Kompetenzen in der Elternschaft ausgeweitet. In klar besprochenem Rahmen können Eltern ihre Sachkompetenz in Form eines Angebotes an der Schule einbringen.

Das mag genügen, um aufzuzeigen, dass Richard David Precht keine einzige wirklich neue Idee entwickelt hat, nicht nur die im Buch angeführten Didaktiken und Methoden existieren bereits, es sind auch all seine Forderungen bereits mit Erfolg in die Praxis umgesetzt worden. Neu ist allerdings die Forderung nach der landesweiten flächendeckenden Einführung eines solchen alternativen Bildungssystems. Die Umsetzung käme nun wirklich einer Revolution gleich bei unserem Modell des Kulturförderalismus, den vielen Kompetenzen und Interessengruppen, bei der unterschiedlichen ideologischen Ausrichtung der Gesellschaft, den zu erwartenden politischen Machtkämpfen. Dennoch, dieses Buch ist wichtig, denn hundertausendfach gelesen, in Talkshows, auf Elternabenden, in pädagogischen Seminaren diskutiert, über die sozialen Netzwerke verbreitet, besteht die Hoffnung auf eine wenn auch nicht revolutionäre so doch nachhaltige Reformierung unseres Bildungssystems.

©Bernd Riebe

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